Antideutsche Zumutungen
Flugblatt zur antifaschistischen Demonstration in Hamm am 17. Januar 2004

Die Antideutschen, so heißt es in der Jungen Welt, würden die "Naziprovokation" ausnutzen, um erneut Propaganda für "imperialistische Aggressionen" zu betreiben. Wieder einmal beweist sie damit den richtigen Riecher für das gesunde Volksempfinden der deutschen Linken. Wenn Nazis provozieren, obwohl sie das aussprechen was alle denken, wenn Imperialisten aggressiv sind, obwohl die brutalst mögliche Aggression derzeit von den Islamisten ausgeht und wenn Antideutsche den guten Willen der antifaschistischen Gegendemonstranten ausnutzen, obwohl sie lediglich den Begriff des Antifaschismus ernst nehmen, dann fühlt sich der deutsche Linke umzingelt. Dann geht er in seiner Opferrolle auf, die er über die Jahre so gut hat einstudieren können. Einer Verschwörung sei die deutsche Linke ausgesetzt, heißt es regelmäßig auf Indymedia, wenn wieder einmal Mutmaßungen darüber angestellt werden, welche antideutsche Gruppe nun vom Mossad und welche vom CIA unterstützt werde. Die Linken aus der nationalbolschewistischen Wochenzeitung, aber nicht nur sie, wollen nichts davon wissen, dass die Nazis schon längst umgesattelt haben, weil sie gemerkt haben, dass sie mit den hiesigen Linken mehr verbindet als sie trennt. "Hoch die internationale Solidarität!" schreien sie und demonstrieren für die "Solidarität mit Palästina!" oder die "Freiheit für Saddam!" Sie haben wie die Linke den sogenannten Imperialismus zum Feind erkoren, dem die Junge Welt so gerne Aggressivität bescheinigt und dabei gar nicht merkt, dass der Begriff "Imperialismus" längst den des "Weltjudentums" abgelöst hat. Was zwischen deutschen Linken und deutschen Nazis nur noch verhandelt werden muss, sind folgerichtig die Termini. Während die Nazis darauf hinweisen, dass die Neokonservativen in der US-Regierung zum Großteil Juden seien und auch die Israelis immer als Juden bezeichnen und eben nicht als Israelis, womit sie offen aussprechen, an wen ihr Vernichtungswahn sich heftet, sprechen die Linken von Zionisten, Imperialisten und Faschisten, womit sie dasselbe meinen.

Weil die deutschen Linken tun, was sie in ihrer Mehrheit immer getan haben, nämlich die völkische Regression vorantreiben, sind sie auch im Jahre 2004 den Nazis ein gutes Stück voraus. Daraus folgt, dass sie sich gemäß ihres gesellschaftlichen Auftrages durchaus als Lehrer gegenüber den Nazis aufspielen können. Während die Nazis noch nicht gemerkt haben, dass Volksgemeinschaft und autoritärer Staat auch ohne Führerprinzip und NSdAP funktionieren, sogar ohne fürchten zu müssen, am Ende der Besiegte zu sein, setzen die Linken gegenüber den Nazis den staatlichen Abgrenzungswillen durch. Sie betätigen sich als gute Deutsche, die die linke Identität der Berliner Republik so verinnerlicht haben, dass sie automatisch - ohne jedes propagandistisches Zutun - ins Werk setzen, was die antifaschistische Staatsräson von ihnen verlangt. Schließlich ist in Deutschland das Interesse des Staates ohnehin nicht mehr klar vom Einzelinteresse abzugrenzen, da Staat und Gesellschaft in der Volksgemeinschaft synthetisiert sind. Es ist nicht mehr auszumachen, was zuerst da war, die Henne oder das Ei.

Gegen Faschismus, Imperialismus und Krieg - das sind die Lehren aus der Vergangenheit, die die Deutschen gezogen haben. Und die Linken stellen bei der praktischen Umsetzung dieser Lehre die Avantgarde. Sei es im faschistischen Furor der Friedensbewegung, sei es angesichts von Nazidemos oder auf Demonstrationen gegen den Sozialabbau: Die Deutschen und ihre Linken werden aktiv gegen jeden Gemeinschaftsschädling, denn - das hat man behalten - "Gemeinsinn geht vor Eigennutz". Weil die Nazis von heute sich erstaunlich penibel an die Vorgaben ihrer Vorgänger halten und somit das Gemeinwohl zum obersten Prinzip erheben, dieses aber zugleich das antibürgerliche Betriebsgeheimnis der postfaschistischen Demokratie ist, sind sich demokratische und nationalsozialistische Deutsche ohnehin grundsätzlich einig. So verdammen die Nazis am Kapitalismus nicht nur das Finanzkapital, eine Chiffre für die als jüdisch halluzinierte abstrakte Seite des Kapitals, sondern vor allem auch, und das ist das entscheidende Bindeglied von linkem und nationalsozialistischem Antikapitalismus, die allseitige Konkurrenz der warenproduzierenden Gesellschaft. Entgegen der kommunistischen Kritik, die die kapitalistische Konkurrenz zugunsten der entfalteten Individualität abschaffen will, fordern beide, Nazis und Linke, mehr Kompromissfähigkeit, mehr Gemeinschaft, mehr Solidarität, mehr Staat: Die Volksgemeinschaft eben. Nur über Namen - Volk oder Zivilgesellschaft - muss noch gestritten werden und an dieser durchaus entscheidenden Stelle, schließlich betrifft sie die Form der Politik, setzt der Staat auf das Gewaltmonopol: Er erklärt die Nazis zu Feinden der Demokratie. Das Gewaltmonopol durchsetzen, heißt nicht nur die intellektuelle und politische Avantgarde, die Linke, in ihrem Kampf gegen die Nazis mit Worten und Taten zu unterstützen, sondern auch, ganz unmittelbar, Nazis das Leben durch staatliche Repression schwer zu machen. Das wollen und können die Linken nicht verstehen, begreifen sie sich doch wider alle Vernunft immer noch als staatsoppositionell. Sie können nicht begreifen, dass ihr Kampf gegen die Nazis mit dem des Staates identisch ist, dass sie einander wunderbar ergänzen. Deshalb meinen sie immer behaupten zu müssen, der deutsche Staat sei rechts und drücke stets das rechte Auge zu, während er gegen Linke brutal vorgehe. Das ist zwar auf der einen Seite auch richtig, denn der Staat duldet wirklich keine Opposition links von ihm (welche es aber derzeit auch nicht gibt), auf der anderen Seite aber wäre es töricht, anzunehmen, dass einzelne Fälle von beispielsweise juristischer Milde gegenüber Nazis auf das Ganze schließen lassen würden. Es ist eine unleugbare Tatsache, dass der deutsche Staat den Nazis feindlich gesinnt ist.

Wie einig sich demokratische und nationalsozialistische Deutsche allerdings im Grundsatz sind, ist - wie sollte es anders sein - an ihrem Hass gegenüber den Juden und ihrem Staat zu erkennen. Der Antisemitismus, der schon immer auch der soziale Kitt der Volksgemeinschaft war, äußert sich aktuell zuerst und meistens als Antizionismus. Man könnte sogar sagen, dass der Antizionismus den offenen Antisemitismus weitgehend verdrängt hat, wenn nicht der Antizionismus selber ein Ausdruck des Antisemitismus wäre. Keiner - bis auf die braunen Kameraden - hat heute etwas gegen Juden, aber dass die Siedler Faschisten und die Vorhut des "aggressiven Imperialismus" sind, das weiß beinahe jeder Deutsche zu berichten. Man braucht nicht einmal Statistiken zu bemühen, um zu beweisen, dass die Deutschen und besonders ihre Linken antizionistisch sind wie eh und je: Die Vorbereitung dieser Demonstration sagt alles. Da erdreistet sich doch tatsächlich die lokale Antifa auf ihrem Vorbereitungstreffen ein Fahnenverbot auszusprechen. Man fragt sich, warum sie nicht gleich auf die andere Seite rübergeht und gemeinsam mit den Nazis "Kritik an Israel" übt. Nationalfahnen hätten auf linken Demos nichts zu suchen, würde die fadenscheinige Antwort lauten, wenn man denn nachfragte. Diese dreiste Lüge schallt einem ständig entgegen, wenn man die Solidarität mit Israel praktisch bekunden will. Sie blamiert sich an der Wirklichkeit der linken Demos, auf denen es vor Palästina- und Irakfahnen nur so wimmelt, so gnadenlos, dass einem sofort auffällt, dass es den Linken überhaupt nicht um eine wie auch immer geartete Kritik am Nationalstaat an sich geht (als gäbe es einen solchen), sondern nur darum, dem Staat Israel die Solidarität zu verweigern. Die Antifa Hamm nennt das "kritische Solidarität" mit Israel, womit sie zwar im Gegensatz zu den Nazis und anderen Antiimperialisten auf der Höhe der Berliner Republik ist, schließlich ahmt sie den Fischer-Sprech perfekt nach, aber was der Unterschied zwischen kritischer Gegnerschaft und kritischer Solidarität ist, bleibt ihr Geheimnis. Fest steht, dass auch sie sich das Menschenrecht auf Israelkritik nicht nehmen lassen wollen und somit partout nicht vom Antiimperialismus lassen können, der das Gegenteil materialistischer Staatskritik ist.

Die antideutsche Zumutung, auf jede Demonstration die blau-weiße Fahne mitzubringen und sie im Wind flattern zu lassen, bei geeigneten Anlässen ästhetisch durchaus ansehnlich gepaart mit dem Sternenbanner, verunsichert die Deutschen so stark, weil sie diese Symbolik nicht nur an die Verbrechen desjenigen Kollektivs erinnert, an dass sie sich gebunden fühlen, sondern auch, weil sie den Gedanken an Freiheit, und sei sie auch noch so sehr durch ihren bürgerlichen Charakter beschränkt, nicht ertragen können. Mit ihrer tatsächlichen Aggression gegen diesen wirklich schön bedruckten Stoff beweisen sie nur das Eine: Dass sie jeden Gedanken an Emanzipation aus der Welt schaffen wollen.


(16. Januar 2004)

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