Deutschland gegen Rechts
Flugblatt zur antifaschistischen Demonstration am 13. März 2004 in Bochum

In Köln sind auf den Bürgersteigen der ganzen Stadt insgesamt 1.400 kleine Messingplatten in den Boden eingelassen, die ein wenig überstehen und so des Öfteren zum Stolpern des unaufmerksamen Spaziergängers führen. Auf ihnen ist jeweils der Name des Holocaust-Opfers eingefräst, das einmal in demjenigen Haus wohnte, vor dem der Stolperstein angebracht ist. Trotz aller notwendigen Kritik an der deutschen Gedenkkultur eine gute Idee, um die Deutschen zumindest hin und wieder an das von ihnen verübte Verbrechen zu erinnern und somit die Normalisierungsbemühungen des deutschen Bürgers zumindest im kleinen Maßstab ins Stocken zu bringen.
Vor einem Haus in Köln-Lindenthal sind ebenfalls zwei solcher Stolpersteine angebracht. Auf ihnen steht geschrieben: Hier wohnte Richard Katzenstein, deportiert 1942 nach Theresienstadt, ermordet am 7.12.1942 sowie Hier wohnte Martha Katzenstein, geb. Gähn, deportiert 1942 nach Theresienstadt, 1944 in Auschwitz ermordet. Durch diese Erinnerung an das von den Nazis ermordete Ehepaar fühlte sich der Hausbesitzer in seinem "persönlichen Lebensbereich verletzt". Zudem seien die Stolpersteine ein "Vermögensschaden" für sein Haus. Weil die Steine im städtischen Bürgersteig liegen, verklagte er die Stadt beim Amtsgericht Köln. Das Ergebnis: Die Steine wurden direkt an den Bordstein gelegt, wo sie niemanden mehr stören.

Diese Anekdote aus dem deutschen Alltag ist nur ein Beispiel für den Umgang der Deutschen mit der - neutral im offiziellen Gedenkjargon ausgedrückt - Vergangenheit. Ein anderes ist der Versuch von Neonazis gegen den Bau der Bochumer Synagoge aufzumarschieren. Selbstverständlich ist auch heute wieder die Zivilgesellschaft ausreichend vor Ort, um den allseits befürchteten Imageschaden abzuwenden. Selbstsicher verkündet man, die Ewiggestrigen hätten in Bochum keine Chance und hat teil am großen gemeinschaftsstiftenden Erlebnis namens Antifaschismus. Versuchte man doch zunächst von offizieller Seite her, den Aufmarsch zu verschweigen, so entschloss man sich später, als nicht mehr zu leugnen war, dass es in Bochum und Umland reichlich Nazis gibt, für eine andere Variante, die auch noch mit einer ordentlichen Portion guten Gewissens belohnt wird. Doch bereits auf der rein moralischen Ebene beginnt das selbsterrichtete Gebäude zu wackeln. Wie viele der aufrechten Demonstranten leben in Häusern mit einer Geschichte wie jenes zitierte in Köln - ohne es zu wissen? Wie viele der so vollmundig die Demokratie verteidigenden weiß nicht einmal über sein persönliches familiäres Umfeld, was Großvater an der Front und Großmutter vor dem Volksempfänger getan haben? Aber darauf kommt es gar nicht an. Wichtig ist ihnen, wie einst, zusammen zu stehen, gemeinsam gegen Rechts zu sein, das Vaterland gegen jene unsittlich dreinschauenden Gesellen zu verteidigen, die immer wieder für Negativschlagzeilen in der Weltpresse sorgen.

In Ostdeutschland, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen und man schon längst nicht mehr an eine florierende Ökonomie glaubt, wo die Elendsverwaltung ihre natürlichen Folgen zeitigt und die neonazistische Bandenherrschaft sich ganzer Landstriche bemächtigt, stören die Glatzen - von einigen touristischen Hochburgen und den Großstädten abgesehen - überhaupt nicht. Es gibt dort keinen Ruf zu verteidigen und so werden die Nazis im Handumdrehen zu normalen deutschen Jugendlichen. Im Westen dagegen verhält es sich anders: Man grenzt sich so eindeutig von den Nazis ab, um nicht daran erinnert zu werden, dass die gesamte Existenz der Bundesrepublik auf Vernichtungskrieg und Holocaust gründet, weil dieses Eingeständnis die Identifizierung mit dem nationalen Kollektiv unmöglich machen würde. Stattdessen werden Mythen beschwört, die das gemeinsam begangene Verbrechen historisieren oder es selbst zum Mythos verklären. Gegenüber dem Wirtschaftswunder mit seinem versinnbildlichten Ausdruck VW Käfer erblast der Nationalsozialismus zur Heldensage aus einer fernen Zeit. In Guido Knopps Dokumentationen werden Täter und Opfer durch die Umdeutung des Begriffes Zeitzeugen gleichgemacht, alle erscheinen nur noch als Zeugen eines Ereignisses, dass im Nebel der Geschichte verschwindet wie die Märchen aus tausendundeiner Nacht.

Die tatsächlichen Opfer kommen in dieser Geschichte gar nicht mehr vor, die nationalsozialistische Entsubjektivierung der Juden in den Vernichtungslagern wird fortgeschrieben. Ebenso wie die Geschichte einzelner Juden gar nicht verfolgt wird - man könnte schließlich gezwungen werden auf einmal den eigenen Opa als Massenmörder anzusehen - taucht im nationalen Diskurs auch der jüdische Widerstand nicht auf. Die Juden gelten als eine Masse, deren Dasein als Opfer vom Schicksal heraufbeschworen wurde. Deshalb reagieren die Deutschen auch so erbost, wenn Überlebende des Holocaust Entschädigung fordern. Dass Juden Menschen sein könnten, kommt ihnen bis heute nicht in den Sinn, weil sie selbst keine menschlichen Regungen mehr verspüren. Ein jeder wünscht sich zu sein wie der Nazi Stauffenberg, der tapfer und in Verpflichtung an das Gemeinwohl versuchte, den Führer zu ermorden als der Krieg bereits verloren war. Damit hätte man schließlich die schönen alten Häuser retten können und hätte sich womöglich nicht der Schmach der alliierten Besatzung inklusive Zerschlagung des Deutschen Reiches aussetzen müssen. Das ist eine Form des Widerstandes, der ihnen aus dem Herzen spricht: Sich für das Kollektiv zu opfern, zum organischen Bestandteil der Volksgemeinschaft zu werden, in dem man alles, also im äußersten Fall den Tod, gibt. Und hier liegt auch der Grund für die Sympathie der Deutschen mit den palästinensischen suicide bombers - sie entdecken ihr "Wir-Ideal" in den Attentätern wieder. Identität herrscht nur unter Gleichen: Den Anforderungen der Welt sich widersetzen, können die Deutschen, die es nicht ertragen können als Subjekte zu agieren, ebenso wie die Palästinenser, indem sie sich selbst verleugnen und sich mit dem (prä-)nationalen Kollektiv eins machen.

Du bist nichts, dein Volk ist alles! In jenem Leitmotiv des anständigen Deutschen liegt begraben, was die Fortexistenz des deutschen Unwesens ausmacht: Der Zusammenhang von Volkswohlstand und Vernichtung. Denn die schlichte Wahrheit ist: Die Bundesrepublik gründet auf Krieg und Massenvernichtung. Der euphorisch von der Bevölkerung getragene Vernichtungskrieg und die damit einhergehende industrialisierte Kriegswirtschaft sind ebenso ein Grund für jenen Volkswohlstand wie die Beute, die die Deutschen durch die Arisierung an sich gerissen haben. Wenn heute die Nazis dagegen protestieren, dass mit Steuergeldern der Bau der Synagoge unterstützt wird, dann wiederholen sie damit geistig, was ihre Vorfahren bereits praktisch vollzogen, als sie die Juden die materiellen Schäden, die von den Deutschen im Pogrom angerichtet worden waren, auch noch bezahlen ließen. Die Essenz dieser Aussage ist: Die Juden provozieren den Antisemitismus, deshalb müssen sie sich nicht wundern, wenn es sie teuer zu stehen kommt. Dass eine solche Aussage in Deutschland gesellschaftsfähig ist, wenn sie nur anders formuliert wird, fällt den Würden- und Wasserträgern der Zivilgesellschaft nicht auf. Schließlich müssten sie andernfalls vor sich selbst erschrecken, wenn sie wieder einmal behaupten, Israel produziere eine Gewaltspirale, Paul Spiegel oder Michel Friedman förderten mit ihrer Kritik am Antisemitismus diesen selbst oder die Anwälte der ehemaligen Zwangsarbeiter seien "Haifische im Anwaltsgewand", wie es der Rudolf Augstein einst so unverhohlen ausdrückte.

Der gewundene, von politisch korrekten Formulierungen ummantelte Antisemitismus der Zivilgesellschaft muss ebenso kritisiert und bekämpft werden wie derjenige der Nazis, die so offen an Adolf Hitler anknüpfen, dass die aufrechten Deutschen ihnen schnell über den Mund fahren müssen, um nicht als heimliche Gesinnungsgenossen entlarvt zu werden. Wenn einer wie Martin Hohmann, der über beste Kontakte zur Neonaziszene verfügt, was jeder wissen konnte, der sich nur einmal die Homepage dieses nichtswürdigen Herren angesehen hat, jahrelang Bundestagsmitglied sein kann und in seiner Heimatstadt knapp die Hälfte aller Stimmen erhält, so sagt das einiges darüber aus, wie nah sich eigentlich öffentliche Meinung und Straßenextremismus sind, der ja auch nicht von ungefähr kommt. Wenn Hohmann aber nach einer Rede, deren Inhalte er sonst munter auf den Homepages seiner Freunde und Kameraden verbreitet, aus der CDU ausgeschlossen wird und eine Welle der moralischen Entrüstung durch Deutschland schwappt, dann fühlen sich die Zivilgesellschaftler prächtig, schließlich haben sie soeben dafür gesorgt, dass der Rückkehr der Vergangenheit ein Riegel vorgeschoben wurde. Und so können sie sich munter an die Gestaltung der Zukunft begeben und als tadellos die Geschichte bewältigende Großmacht das Selbstbestimmungsrecht der Völker gegen Israel und die USA verteidigen. Die Bekämpfung der Ewiggestrigen dient nicht der Abwehr des Antisemitismus, soviel müsste jedem klar sein, der mitbekommen hat, dass es in der Hohmann-Debatte niemals um Inhalte ging, sondern nur um Zurschaustellung der reinsten Gesinnung, sondern sie dient einem neuen Versuch Deutschlands, die Welt an seinem Wesen genesen zu lassen. Und während ganz Deutschland mobil macht gegen den Rechtsextremismus, gewinnt Gerhard Schröder eine Bundestagswahl damit, dass er einen arabischen Nationalsozialisten bei dessen Machterhalt unterstützen will und gleichzeitig darüber schwadroniert, Bundeswehrsoldaten nach Palästina zu schicken.

Hiermit schließe ich mich den anderen Rednern an und fordere zur Solidarität mit den Juden auf, was selbstverständlich die Solidarität mit dem Staat Israel beinhalten muss.

(13. März 2004)

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