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Ökonomie
und Macht
Anmerkungen zur Kritik an Michel Foucault
Wenn über das Verhältnis Michel Foucaults zu Marx gesprochen
werden soll, dann gilt es zuvor festzuhalten, dass sich zu diesem Thema
kaum Literatur finden lässt. Das hat viele Gründe, einer jedoch
dürfte sein, dass Foucault selbst - außer einiger Stellen in
"Überwachen und Strafen" - sich nur äußerst
spärlich offen auf Marx bezogen hat, so z.B. in einem Aufsatz namens
"Nietzsche, Freud, Marx" (1) oder in einigen Interviews zum
Streit mit Sartre, wobei in diesem Zusammenhang eher Foucaults Verhältnis
zum Marxismus behandelt wurde als sein Verhältnis zu Marx selbst.
(2) Ansonsten schien Foucault der Auffassung zu sein, jene Gedanken, die
er von Marx übernommen hatte oder glaubte, von diesem übernommen
zu haben, nicht besonders kennzeichnen zu müssen, da diese in das
allgemeine Wissen übergegangen seien. Fest steht jedoch, dass Foucault
maßgeblich vom französischen, später heftig angefeindeten
Parteitheoretiker Louis Althusser (3) beeinflusst wurde, dessen strukturalistische
Interpretation des Marxschen "Kapitals" der dem Frankfurter
Institut für Sozialforschung nahestehende Alfred Schmidt ausführlich
in dem Aufsatz "Der strukturalistische Angriff auf die Geschichte"
(4) kritisiert hat.
Wie ist es also um das Verhältnis Foucaults zu Marx bestellt? Um
dieser Frage nachzugehen, habe ich mich entschlossen, eine Spezifizierung
der Problemstellung anzustrengen, um das weite Feld einer möglichen
Bezugnahme Foucaults auf Marx enger einzugrenzen. Beschäftigen möchte
ich mich daher insbesondere mit Foucaults Auffassungen von der Kritik
der politischen Ökonomie, wie sie Karl Marx im "Kapital"
und in den "Grundrissen" geleistet hat. Die Fokussierung auf
dieses Thema hat jedoch nicht nur praktische Gründe, sondern auch
themenimmanente. Ein wesentlicher Fehler Foucaults ist es - so meine Hypothese
- die Kritik der politischen Ökonomie nicht als zentrale Kritik bürgerlicher
Gesellschaft zu begreifen, sondern sie zu einem System unter vielen anderen
gleichberechtigten anderen Systemen zu degradieren, und damit der historisch-materialistischen
Kritik das objektive, dem Menschen äußerliche Sein einer Struktur
entgegen zu stellen, die "vor jeder menschlichen Existenz, vor jedem
menschlichen Denken" (5) existiere und ein "System vor jeglichem
System" sei. Foucaults Anspruch, Herrschaftswissen zu dekonstruieren
und scheinbar zeitlose Ideologien in einen geschichtlichen Kontext zu
stellen, scheitert an mangelnder Radikalität. Denn was Foucault unweigerlich
fehlt, ist eine Kritik der Herrschaft des Kapitals, die er stets in anderem
als dem Tauschakt selbst identifiziert und somit auf den Holzweg der Ontologie
gerät. Wie Manfred Dahlmann ja im Anschluss noch erläutern wird,
ist deshalb insbesondere Foucaults Machtbegriff (6) problematisch. Dieses
Problem beginnt in der alle Schriften Foucaults durchziehenden strikten
Trennung von der Sphäre des Ökonomischen von der der Macht:
"Kann die Analyse der Macht oder die Analyse der einzelnen Machtformen
auf die eine oder andere Weise von der Ökonomie abgeleitet werden?"
(7) Oder an anderer Stelle: "Befindet sich die Macht immer in untergeordneter
Position gegenüber der Ökonomie? Wird sie immer von der Ökonomie
zweckbestimmt und funktionalisiert? Besteht ihr Daseinsgrund und ihr Zweck
eben darin, der Ökonomie zu dienen?" (8) Selbstverständlich
sind dies rhetorische Fragen, die er einige Zeilen später mit 'Nein'
beantworten wird: "Ist die Macht nach dem Modell der Ware gebildet?
Ist die Macht etwas, was man besitzt, was man sich aneignet und was man
durch Vertrag oder Gewalt abtritt, was man veräußert oder zurückgewinnt,
was zirkuliert, diesen Bereich am Leben erhält und jenen anderen
meidet? Oder müsste man zum Zweck der Analyse nicht ganz andere Instrumente
ins Werk setzen, selbst wenn die Machtbeziehungen zutiefst in die und
mit den ökonomischen Beziehungen verflochten sind, selbst wenn sie
mit ihnen eine Art Knäuel bilden? Hätte in diesem Fall die Untrennbarkeit
von Ökonomie und Politik den Rang einer funktionalen Unterordnung
oder eines formalen Isomorphismus oder nicht vielmehr einer ganz anderen
Ordnung, die es gerade herauszufinden gälte? (...) Wir verfügen
zunächst über die Behauptung, dass die Macht nicht gegeben wird,
dass sie weder getauscht noch zurückgewonnen werden kann, sondern
dass sie ausgeübt wird und nur im Vollzug existiert. Des weiteren
verfügen wir über diese andere Aussage, dass die Macht nicht
in erster Linie Erhaltung und Reproduktion der ökonomischen Verhältnisse,
sondern vor allem ein Kräfteverhältnis in sich selbst ist."
(9) Abgesehen von der typisch foucaultschen Wortverdreherei, die mal eben
den Unterschied zwischen der Funktion und dem Wesen der Macht einebnet:
Foucault geht erstens nicht auf, dass die Ökonomie keine ewige, im
luftleeren Raum liegende Struktur ist, sondern ein Verhältnis, dass
sich verändert und somit immer nur als historisch spezifisches erkannt
und kritisiert werden kann und zweitens, dass die Ökonomie selbst
ein - und ich möchte einfügen: das - Herrschaftsverhältnis
ist. Der von Adorno und Horkheimer in der "Dialektik der Aufklärung"
beschriebene Umschlag von der Abhängigkeit gegenüber der ersten
Natur in die Abhängigkeit gegenüber der sogenannten "zweiten
Natur", d.h. der durch den selbst hervorgebrachten Fetischismus als
Quasi-Natur verschleierten kapitalistischen Warenproduktion, muss Foucault
ebenso ein Rätsel bleiben wie die kritische Theorie von Karl Marx.
Um Foucaults unzureichendem Begriff des Kapitals auf die Spur zu kommen,
möchte ich nun auf die Kritik des Geldes bei Marx und Foucault eingehen,
weil Marx das Geld als ein "gesellschaftliches Produktionsverhältnis"
bestimmte, dass sich "in der Form von Naturdingen mit sonderbar gesellschaftlichen
Eigenschaften" (10) darstellt.
Kritik des Geldes bei Marx
Marx bestimmt das Geld also als gesellschaftliches Verhältnis: "Die
wechselseitige und allseitige Abhängigkeit der gegeneinander gleichgültigen
Individuen bildet ihren gesellschaftlichen Zusammenhang. Dieser gesellschaftliche
Zusammenhang ist ausgedrückt im Tauschwert, worin für jedes
Individuum seine eigne Tätigkeit oder sein Produkt erst eine Tätigkeit
und ein Produkt für es wird; es muß ein allgemeines Produkt
produzieren - den Tauschwert oder, diesen für sich isoliert, individualisiert,
Geld." (11) Marx zeigt, dass die Entstehung und Funktion des Geldes
direkt aus dem Warentausch abzuleiten sind, das Geld somit keine besondere,
von der gesamtgesellschaftlichen Warenproduktion zum Zwecke des Tausches
abgekoppelte Sphäre repräsentiert, sondern die spezifisch gesellschaftliche
Funktion eines allgemeinen Äquivalents erfüllt, das ebenso warenförmig
ist und erst den Tausch jeder Ware mit jeder anderen, auch völlig
verschiedenartigen Ware ermöglicht: "Indem die relative Wertform
einer Ware, z.B. der Leinwand, ihr Wertsein als etwas von ihrem Körper
und seinen Eigenschaften durchaus Unterschiedenes ausdrückt, z.B.
als Rockgleiches, deutet dieser Ausdruck selbst an, dass er ein gesellschaftliches
Verhältnis verbirgt. Umgekehrt mit der Äquivalentform. Sie besteht
ja gerade darin, dass ein Warenkörper, wie der Rock, dies Ding wie
es geht und steht, Wert ausdrückt, also von Natur Wertform besitzt.
Da aber Eigenschaften eines Dings nicht aus seinem Verhältnis zu
anderen Dingen entspringen, sich vielmehr in solchem Verhältnis nur
bestätigen, scheint auch der Rock seine Äquivalentform, seine
Eigenschaft unmittelbarer Austauschbarkeit, ebenso sehr von Natur zu besitzen
wie seine Eigenschaft, schwer zu sein oder warm zu halten. Daher das Rätselhafte
der Äquivalentform, das den bürgerlich rohen Blick des politischen
Ökonomen erst erschlägt, sobald diese Form ihm fertig gegenübertritt
im Geld. Dann sucht er den mysteriösen Charakter von Gold und Silber
wegzuerklären, indem er ihnen minder blendende Waren unterschiebt
und mit stets erneutem Vergnügen den Katalog all des Warenpöbels
ableiert, der seinerzeit die Rolle des Äquivalents gespielt hat.
Er ahnt nicht, dass schon der einfachste Wertausdruck, wie 20 Ellen Leinwand
= 1 Rock, das Rätsel der Äquivalentform zu lösen gibt."
(12) Adam Smith präsentiert diesen Warenpöbel (13) ebenso wie
Michel Foucault, der eine Geschichte des Wissens von Ökonomie zu
schreiben versucht. Aber dazu später.
Das Geld ermöglicht laut Marx durch seine Isolation von der Warenwelt
den Tausch verschiedenartigster Dinge gegeneinander und ist deshalb das
Kind, nicht der Vater der Tauschgesellschaft, ein absolut Vermitteltes
und zugleich Vermittelndes ohne eigenen Seinsgrund außerhalb der
gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen es existiert. Damit ist
das Geldrätsel gelöst.
Das Geld ist Ausdruck der Gleichheit alles Irdischen vor dem Wertgesetz,
es ist das allgemeine Äquivalent, das die ungeheure Warenansammlung,
als die die kapitalistische Gesellschaft erscheint, in sich enthält.
(14) Davon eingeschlossen sind selbstverständlich auch die Produzenten,
deren Ware Arbeitskraft sie gezwungen sind gegen Geld zu tauschen, um
wiederum dieses gegen Nahrung zu tauschen. Aus dieser banalen, aber um
so folgenreicheren Tatsache ergibt sich vielerlei: Das Verhältnis
von Gläubiger und Schuldner wie es Marx ausführlich beschreibt
(15), das von Lohnarbeit und Kapital, aber auch das von Natur und Gesellschaft.
Das Geld entpuppt sich nicht etwa als - wie Adam Smith das nennt - vernünftiges
Tauschmittel (16), sondern als notwendiges vermittelndes Element einer
durch die Warenform vermittelten Herrschaftsform, die aber als Verhältnis
gesellschaftlicher Gleichheit und Gerechtigkeit erscheint. Das Geld nimmt
also die Rolle ein, das gesellschaftliche Verhältnis zu verschleiern,
es aber trotz seiner offenkundigen Unvernünftigkeit - nämlich
dem Grundsatz Äpfel mit Birnen gleichzusetzen, verpflichtet zu sein
- am Laufen zu halten.
Das Geld als Zeichen
Soviel noch mal zur Erinnerung. Was aber sagt nun Foucault zum Geld? Foucault
konzentriert sich wesentlich darauf, das Geld als "Zeichen"
oder als "Repräsentant" zu bestimmen. Begrifflichkeiten,
die durchaus von Marx übernommen worden sind, bei Foucault jedoch
in einem völlig anderen Zusammenhang auftreten und damit eine andere
als die von Marx intendierte Bedeutung erhalten. Eine Methode, der sich
Foucault oft bedient hat, wie Clemens Kammler in seiner Foucault-Monographie
schreibt: Foucault habe einen "betont eklektizistische(n) Umgang
mit den theoretischen Ansätzen, auf die (er) sich positiv bezieht
- sei es die Psychoanalyse, der Marxismus oder der Strukturalismus"
(17) gepflegt. War das Geld bei Marx insofern ein Zeichen, als es die
Gesamtheit der Warenwelt repräsentierte und deshalb sein eigener
Wertausdruck immer schon den der zu tauschenden Ware bezeichnete, versteht
Foucault unter dem Begriff "Zeichen" etwas vollkommen anderes:
"(...) Das Zeichen selbst legt ein mehrdeutiges und feindseliges
oder 'böswilliges' Verhalten an den Tag. Und zwar insofern, als das
Zeichen bereits eine Interpretation ist, die sich nicht als solche zu
erkennen gibt. Zeichen sind Interpretationen, die sich zu rechtfertigen
versuchen, und nicht umgekehrt. So funktioniert das Geld nach der Darstellung
in der Kritik der politischen Ökonomie und im ersten Buch des Kapital."
(18) Nicht ein Verhältnis kritisiert Foucault, in dem das Geld tatsächlich
als Apparat der Gleichmacherei - Realabstraktion - auftritt und das alles
und jeden unter seine Herrschaft zwingt, sondern das Geld ist seiner Ansicht
nach nur ein Ausdruck von Interpretation. Der Begriff der "Interpretation"
suggeriert jedoch, dass man sich die Realität bloß anders erklären
müsse, um das Geld von seiner spezifischen Bedeutung und Wirkungsmacht
zu lösen. Der Verdoppelung des Wertes in Ware und Preis der Ware
bleibt bei Foucault im Dunkeln, er sieht entweder nur noch den Preis oder
nur den Gebrauchswert, vermag es aber nicht, beides als dialektische Einheit
zu denken. (19) Was nach Ideologiekritik klingen soll, ist aber doch nur
- weil er auf jeden Wahrheitsanspruch pfeift - Ideologie: "Mit der
Übernahme dieser neuen Funktion, die darin besteht, die Interpretation
zu verbergen, verliert das Zeichen sein einfaches Sein als Bezeichnendes,
das es in der Renaissance noch besaß; (...)" (20) Das Geld
soll also nun nicht mehr den allgemeinen Reichtum repräsentieren,
sondern wesentlich seine eigene Rechtfertigung verschleiern. Dass in der
Repräsentation des allgemeinen Reichtums - der Äquivalentform
- erstens die Legitimation, d.h. Notwendigkeit des Geldes begründet
liegt und zweitens diese Repräsentation selbst bereits der Schleier
ist, der über der Herkunft des Reichtums liegt, begreift Foucault
nicht. Hatte Marx darauf hingewiesen, dass das Geldrätsel nicht zu
entschlüsseln ist, wenn man nicht die Waren- und die daraus entspringende
Äquivalentform unter die Lupe nimmt, so nimmt Foucault an, dass das
Geldrätsel selbst kein objektiver Schein der Verhältnisse sei,
sondern einer subjektiven Interpretation entspringt. Um diese zu erklären,
erweckt er das Geld selbst zum Leben und stattet es mit Willen ("feindselig",
"böswillig") und Absicht (das Geld versuche sich zu rechtfertigen
bzw. diese Rechtfertigung zu verbergen) aus. Marx spottete über derlei
Warenfetischismus: Nur in der Nebelregion der religiösen Welt seien
"die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander
und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbstständige Gestalten".
(21)Nicht das tatsächlich vorhandene Verhältnis, welches das
Geld notwendig macht, kritisiert Foucault, sondern, dass das Geld Ausdruck
einer Interpretation von Wirklichkeit sei, die nicht einmal als "falsch"
oder unvernünftig hingestellt wird, sondern aus seminaristischem
Interesse heraus zur Darstellung gebracht werden soll. Eine solche Darstellung
der Interpretation von Wirklichkeit versucht Foucault in seinem Buch "Die
Ordnung der Dinge".
Die Ordnung der Dinge
Anspruch dieses Buches ist es laut Foucault, "eine bestimmte Zahl
von Elementen nebeneinander zu zeigen - das Wissen von den Lebewesen,
das Wissen von den Gesetzen der Sprache und das Wissen der ökonomischen
Fakten - und die mit dem philosophischen Diskurs ihrer Zeit in Verbindung
zu setzen für einen Zeitraum, der sich vom siebzehnten bis zum neunzehnten
Jahrhundert erstreckt." (22) Wie beliebig die Auswahl dieser Elemente
ist, würde Foucault vermutlich nicht einmal bestreiten. Fest steht:
Das jeweilige Wissen über die Ökonomie, also das notwendig falsche
Bewusstsein - Ideologie - kann bei Foucault problemlos mit dem Wissen
von den Lebewesen analogisiert werden, weil er sich über die besondere
Verfasstheit einer Gesellschaft - z.B. der des siebzehnten bis zum neunzehnten
Jahrhundert - sowieso keine Gedanken macht. Woher dieses Wissen, welches
ja exakter ausgedrückt eher ein Nicht-Wissen darstellt, eigentlich
kommt, welche Prozesse am Werk sind, die den Blick der Menschen blenden,
das interessiert Foucault nicht. Er will eine Geschichte der Ideologie
schreiben ohne zu durchschauen, dass die Ideologie Ideologie und mithin
notwendig falsches Bewusstsein ist. Unter der Überschrift "Tauschen"
beginnt er dann im sechsten Kapitel, eine historische Skizze des ökonomischen
Wissens aufzuzeigen. Freilich ohne sich Gedanken darüber zu machen,
dass die Tauschgesellschaft, die seinem Kapitel die Überschrift gab,
auch nur historisch entstanden ist und sich schon aus diesem Grunde seinem
ewigen prähistorischen Sein widersetzt. Dass das ökonomische
Wissen einer Gesellschaft, die gerade am Anfang des Beginns der Ausbreitung
der kapitalistischen Warenproduktion steht, sich von dem der voll entwickelten
kapitalistischen Gesellschaft unterscheidet, beachtet Foucault ebenfalls
nicht. Stattdessen greift er die schon genannte 'Ableierung des Warenpöbels'
von Adam Smith auf und erklärt uns, dass das Geld nicht schon immer
das allgemeine Äquivalent war (23) und dass im sechzehnten Jahrhundert
die Ansicht vorherrschend war, das Geld sei deshalb wertvoll, weil das
Metall, aus dem es gemacht ist, eben wertvoll sei: "Das Geld war
ein genaues Maß, weil es nichts anderes bedeutete als seine Kraft,
die Reichtümer von seiner eigenen materiellen Realität als Reichtum
aus zu eichen. (...) Man versucht, die Münzzeichen auf ihr exaktes
Maß zurückzuführen: die Nominalwerte, die auf den Stücken
ablesbar sind, müssen mit der Menge Metall übereinstimmen, die
man als Eichmaß gewählt hat und die sich darin verkörpert
findet." (24) Wertvoll sei das Metall wesentlich deshalb, weil es
selten sei. (25) Die Smithsche Unterscheidung von Nominal- und Realwert
kann Foucault ebenfalls bei einigen Interpreten finden. Welch Wunder,
stellte doch Adam Smith einen gewaltigen Fortschritt dar, als er immerhin
den Realwert das erste Mal über die in einem Produkt steckende Arbeit
bestimmte. Genau diese Arbeit aber kommt bei Foucault überhaupt nicht
vor. Denn nachdem er davon abgekommen ist, den Wert des Geldes aus dem
Wert des Metalls zu bestimmen, landet Foucault als nächstes - wie
könnte es anders sein? - beim Gebrauchswert. Leider ist ihm jedoch
überhaupt nicht bewusst, dass er es mit dem Gebrauchs- und nicht
mit dem Tauschwert zu tun hat, die er permanent verwechselt. (26) So entstehen
krude Formulierungen wie: "Zunächst kommt der Wert der Dinge
nicht mehr vom Metall. Er entsteht von selbst, ohne Bezug zum Geld, nach
Kriterien der Nützlichkeit, des Vergnügens oder der Seltenheit.
Die Dinge nehmen in Beziehung zueinander Wert an." (27) Was denn
nun? In Beziehung zueinander, weil die Waren jemand gebrauchen kann oder
"von selbst"? Foucault scheint sichtlich unsicher und der weitere
Verlauf ändert diesen Eindruck nicht. Im Gegenteil: Je mehr Foucault
davon wegkommt, einfach nur wiederzugeben, was Ökonomen oder Philosophen
zu einer bestimmten Zeit über Geld, Wert und Preis gesagt haben,
um so mehr verstrickt er sich in die Widersprüche seiner eigenen
Theorie. Beispielsweise muss Foucault das Perlenbeispiel von Marx, nach
dem noch kein Chemiker je auch nur ein Gramm Wertsubstanz in einer Perle
entdeckt habe, als Anmaßung vorkommen, denn seiner Ansicht nach
ist die Verdinglichung des Geldwertes als Entsprechung eines ontologischen
Wertes "an sich" eines Metalls nicht eine Leistung des notwendig
falschen Bewusstseins, sondern eine Frage der Epoche. Im Merkantilismus,
so meint Foucault, könne das Geld "nicht die Reichtümer
bezeichnen, ohne selbst ein Reichtum zu sein." (28) Es müsse
also "Eigenheiten bieten" und er fügt in Klammern an, "natürliche
und nicht ökonomische". Wie man aber vom Gebrauchswert der Waren
- wir erinnern uns, sie seien nützlich - zum Tausch der Waren kommt,
bleibt Foucault verborgen. Irgendwie müssen sie sich schon austauschen.
Weil er aber über die Produktion der Waren und somit über die
Produktion der Gebrauchswerte als Träger des Tauschwertes kein Wort
verliert, muss sich Foucault ständig auf das Problem der Zirkulation
stürzen: "Die Zirkulation wird so eine der fundamentalen Kategorien
der Analyse." (29) Und dann: "Die Beziehungen zwischen Reichtum
und Geld entstehen also im Zirkulations- und Tauschprozess und nicht mehr
durch die 'Kostbarkeit' des Metalls." (30) Er kann sich nicht recht
entscheiden, ob der Wert des Geldes nun aus dem Geld selbst stammt oder
doch in Beziehungen zu anderen Waren. Weil ihm nicht bekannt zu sein scheint,
dass das Geld auch eine Ware ist und es eben nicht - wie ich vorhin erläuterte
- aus der ökonomischen Sphäre herausfällt und sozusagen
das große Gegenüber der Warenwelt repräsentiert, macht
er sich an das Geldrätsel heran ohne sich über die Warenproduktion
Gedanken zu machen. Deswegen beginnt er, anders als Marx, mit der Analyse
des Geldes und nicht mit der Analyse der Ware. Dass er auf diese Weise
nie das Rätsel der Äquivalentform lüften wird, versteht
sich von selbst. Er fällt deshalb auf die Tautologie herein, es habe
eine Auseinandersetzung "zwischen den Anhängern eines Geldes
als Zeichen und den Anhängern eines Geldes als Ware" (31) gegeben.
Geld als Fiktion
Nachdem die Frage, wie die Gebrauchswerte in die Zirkulationssphäre
kommen, weiterhin im Dunkeln bleibt, sichtet Foucault eine weitere Theorie,
die ihm gelegen zu kommen scheint. Vielleicht - so mag er hoffen - lässt
sich so das Problem lösen. John Locke habe das Geld als Pfand definiert.
"Zu sagen, dass das Geld ein Pfand ist, heißt, dass es nicht
mehr als ein durch gemeinsame Übereinstimmung erhaltener Jeton ist
- eine reine Fiktion demnach." (32) Wenn jede Ware besonders ist,
aber alle Waren gegeneinander tauschbar sein müssen, dann - das ahnt
Foucault richtig - kann das nicht mit rechten Dingen zugehen. Es muss
sich also um eine Fiktion, d.h. um eine gedankliche Operation handeln,
die das Nichtidentische identisch macht. Leider aber verwirft Foucault
auch diese Theorie wieder, die dem sprichwörtlichen Unsinn des Warentausches
zumindest nahe kommen würde. "Wie kann es (das monetäre
Pfand - d. Verf.) dem Dilemma zwischen wertlosem Zeichen oder der allen
anderen analogen Ware entgehen?" (33) Es ist paradox: Denn wertlos
wäre das Geld erst dann, wenn es, weil die Menschheit sich zum Kommunismus
entschlossen hat, sowieso nicht mehr gebraucht würde. Weil Paradoxien
aber in des Philosophen Kopf nicht hinein passen - schließlich will
er die Welt erklären und sie nicht verändern - sucht er nach
Rechtfertigungen. Und so kommt er wieder zurück zu seinem Ausgangspunkt,
von dem er sich partout nicht zu lösen vermag: "Was dem Geld
selbst seine Tauschbarkeit sichert, wird der Handelswert des Metalls sein,
das darin enthalten ist." (34) Die Metallsubstanz bilde letztlich
doch die "materielle Wirklichkeit des Geldes". Und nun sei ja
nur noch zu klären, was denn die "optimale Menge von Metallgeld"
(35) darstelle. Denn "das Problem ist es nicht zu wissen, durch welche
Mechanismen das Geld zirkuliert oder stagniert, wie es ausgegeben oder
aufgehäuft wird (...), sondern welches die notwendige Geldmenge ist,
damit in einem bestimmten Land die Zirkulation rasch vonstatten geht und
das Geld durch eine ausreichende Zahl von Händen geht." Warum
ihn auf einmal nicht mehr interessiert, was das Geld ist, sondern in welcher
Menge es vorkommt, kann nur damit beantwortet werden, dass Foucault es
als lästig betrachtet, derlei Überlegungen anzustellen. Schließlich
geht es ihm dem eigenen Bekunden nach ja gar nicht darum eine Kritik oder
wenigstens eine Theorie des Geldes zu formulieren, sondern darum, das
ökonomische Wissen mit dem Wissen der Grammatik und dem der Lebewesen
analogisieren zu können: "Das 'Tableau' wird gut gestaltet sein."
Dem entspricht der Wahrheitsanspruch eines Pinoccio. Wie Adorno die Waren
in der Kulturindustrie als solche bestimmte, denen jede Wahrheit abgeht
und bei denen es nur noch auf die Verpackung ankommt, so entpuppt sich
Foucault tatsächlich als 'origineller Denker'. Denn wie sein Kapitel
über den Panoptismus in "Überwachen und Strafen" hinkt,
weil das panoptische Gefängnis nie gebaut wurde, so hinkt auch Foucaults
"Ordnung der Dinge", weil sein Begriff vom Geld ausschließlich
ideologisch bleibt. Originell ja, das ist er der Foucault, wenn er sich
immer neue Theorien und Strukturen ausdenkt, die mit diesem oder jenem
zu analogisieren seien und die den ersten Schritt der Spurensuche nach
dem ewigen Sein darstellten.
Begriff und Sache
Entscheidend für Foucaults Theorie ist die völlige Weigerung
zwischen Begriff und Sache zu differenzieren. Beides ist für ihn
identisch und so nimmt er auch die ideologischen Erklärungen und
Darstellungen von historischen Personen als - natürlich subjektive
- Wahrheit einer bestimmten Epoche hin. Dies äußert sich schließlich
in absolut unsinnigen Behauptungen, die den meisten bürgerliche Ökonomen
vor Scham wahrscheinlich nicht einmal über die Lippen gingen. Z.B.:
"Die armen Länder haben demnach die Tendenz, sich zu entvölkern."
(36) Sogar vor offenkundig falschen Behauptungen schreckt Foucault nicht
zurück auf seiner Suche nach dem "ursprünglicheren Akt"
(37), wo mir eigentlich bisher nicht klar war, dass es das Wort "ursprünglich"
auch im Komparativ gibt. Wie auch immer: Ich denke, ich habe zeigen können,
dass Foucaults Verständnis von der Kritik der politischen Ökonomie
unzureichend ist und er diese trotzdem noch als Mittel versteht, um seine
Theorien zu rechtfertigen. Wer aber vom Kapitalismus keine Ahnung hat,
sollte von der Gesellschaft schweigen und nicht ständig, wie es in
"Überwachen und Strafen" geschieht, eine "politische
Ökonomie des Körpers", eine "Ökonomie der Gesetzwidrigkeiten",
eine "Machtökonomie", eine "Mikro-Ökonomie",
eine "Ökonomie der Öffentlichkeit", eine "Ökonomie
der Sichtbarkeit", eine "Ökonomie der Verausgabung"
oder eine "Ökonomie der Kontinuität" entdecken. (38)
Denn damit suggeriert er nur das eine: Dass er keine Ahnung hat.
(21 . Juni 2004)
Druckversion
Anmerkungen:
(1) Michel Foucault: Nietzsche, Freud, Marx, in: Dits et Ecrits, Schriften
in vier Bänden, Bd.1 1954-1969, Frankfurt a.M. 2001
(2) Unter den Standardwerken zu Foucault wäre ebenfalls noch zu erwähnen
Urs Marti: Michel Foucault, München 1999, in dem sich Marti auf den
Seiten 110ff. jedoch ebenfalls verstärkt mit den Differenzen Foucaults
zum westlichen, insbesondere französischen Marxismus auseinandersetzt.
(3) Vgl. Etienne Balibar/ Louis Althusser: Das Kapital lesen (lire le
Capital), 2 Bd., Hamburg 1972
(4) Alfred Schmidt: Der strukturalistische Angriff auf die Geschichte,
in: Alfred Schmidt (Hrsg.): Beiträge zur marxistischen Erkenntnistheorie,
Frankfurt a.M. 1971, S. 194ff.
(5) Michel Foucault: Absage an Sartre, in: alternative, Heft 54, Strukturalismusdiskussion,
Berlin 1967, S.92
(6) Vgl. Manfred Dahlmann: Das Rätsel der Macht. Michel Foucaults
unfreiwillige Anthropologie, in: Bahamas Nr. 26, Berlin 1998, S. 43ff.
(7) Michel Foucault: Dits et Ecrits, Bd. 1 1954-1969, S. 23
(8) Michel Foucault: Vorlesung vom 7. Januar 1976, in: In Verteidigung
der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1999, S. 24
(9) Michel Foucault: Vorlesung vom 7. Januar 1976, S. 42f.
(10) Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. MEW
23, Berlin 1989, S. 97
(11) Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Frankfurt
a. M. 1939, S. 74
(12) Karl Marx: Das Kapital, S. 71f.
(13) Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen, München 1978, S.22ff
(14) "Qualitativ oder seiner Form nach ist das Geld schrankenlos,
d.h. allgemeiner Repräsentant des stofflichen Reichtums, weil in
jede Ware umsetzbar." Karl Marx: Das Kapital, S. 147
(15) Karl Marx: Das Kapital, S. 149
(16) Vgl. Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen, S. 23
(17) Clemens Kammler: Michel Foucault. Eine kritische Analyse seines Werks,
Bonn 1986, zitiert nach: Alex Schärer: Täuschende Verwandtschaft:
Foucaults Verhältnis zu Marx, in: Risse Nr. 3, Zürich 2002,
S. 30
(18) Michel Foucault: Nietzsche, Freud, Marx, S. 736
(19) Joachim Bruhns Kritik an Goldhagens Geldbegriff trifft auch in diesem
Zusammenhang: "Das Geld soll das eine sein, seine Wahrnehmung aber
das ganz andere: Unvorstellbar, dass, wie die Marxsche Wertformanalyse
nachweist (...), das Geld an sich selbst so beschaffen ist, dass es, als
sinnliche Inkarnation und handgreiflich empirische Darstellung des kompletten
gesellschaftlichen Verhältnisses, seine eigene Interpretation und
Sinnge-bung immer schon enthält, dass es nichts anderes darstellt
als die Identität von Sein und Sinn. Denn indem der Wert doppelt
sich darstellt, indem er als Preis der Ware neben der Ware erscheint,
verdoppelt er sich zugleich in materiellen und ideellen Wert, in wirkliches
Geld und nur gedachtes Geld." Joachim Bruhn: Goldhagen und das Ende
der Geschichtswissenschaft, in: Weg und Ziel, Nr. 2/1998, Wien, S. 18
(20) ebenda.
(21) Karl Marx: Das Kapital, S. 86
(22) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, Frankfurt a.M. 1974, S. 10
(23) Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 223
(24) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 215
(25) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 222
(26) Vgl. dazu auch besonders die Kapitel "V. Die Bildung des Werts"
und "VI. Die Nützlichkeit". Michel Foucault: Die Ordnung
der Dinge, S. 239ff. bzw. S. 247 ff.. Kein Zufall auch, dass Foucault
erst die Frage nach dem Wert stellt und dann die nach der Nützlichkeit.
(27) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 222
(28) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 225
(29) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 227
(30) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 226
(31) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 229
(32) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 230
(33) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 230
(34) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 231
(35) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 235
(36) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 237
(37) Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, S. 241
(38) Zitiert nach: Alex Schärer: Täuschende Verwandtschaft.
Foucaults Verhältnis zu Marx, S. 30f.
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