Einleitungsreferat zur Veranstaltung
'Wer verhindert die iranische Bombe?' am 24.01.05

Der Iran ist seit 1979 eine "Islamische Republik". Die iranische Verfassung hat auf den ersten Blick durchaus Ähnlichkeiten mit der westlicher liberaler Demokratien: es gibt ein Parlament, das vom Volk gewählt wird, und einen ebenfalls vom Volk gewählten Präsidenten, der als Regierungschef fungiert. Daneben gibt es jedoch Institutionen, die dafür sorgen, dass ohne die Zustimmung der schiitischen Geistlichkeit kein Gesetz verabschiedet, keine Regierungsmaßnahme getroffen und kein Urteil gefällt werden kann.

Staatsoberhaupt ist der sogenannte Revolutionsführer, der den Präsidenten nach Belieben absetzen darf. Dieses Amt hatte bis zu seinem Tod 1989 Ayatollah Khomeini inne; sein Nachfolger ist Ayatollah Ali Khamene'i. Der Revolutionsführer ist verantwortlich für zahlreiche staatliche Stiftungen und Institute, die neben den regulären Ministerien bestehen und ähnliche Funktionen wie sie ausüben. Dazu gehört auch die iranische Organisation für Atomenergie. Dem Revolutionsführer gehorchen auch die paramilitärischen islamistischen Banden, die neben der regulären Polizei zur Schikanierung mißliebiger Bevölkerungsteile eingesetzt werden. Die de facto wichtigste staatliche Institution ist der Wächterrat, ein permanent tagendes Verfassungsgericht, das zur Hälfte vom Revolutionsführer, zur Hälfte vom Parlament gewählt wird. Der Wächterrat entscheidet darüber, ob die vom Parlament verabschiedeten Gesetze des Landes mit dem Islam übereinstimmen. Nur wenn sie das tun, können sie in Kraft treten. Was das Parlament beschließt, ist also ziemlich irrelevant, solange es den Vorstellungen des Wächterrats nicht entspricht.

Ein Gesetzeswerk, das garantiert niemals vom Wächterrat beanstandet wird, ist das iranische Strafrecht. Einige der Strafen sind unmittelbar der Schari'a entnommen, der Gesamtheit der in Koran und Sunna festgelegten Gesetze. Sie heißen Hudod, was so viel heißt wie gottgewollte Strafen. Weil das Strafrecht für Verstöße gegen die sogenannte öffentliche Moral - die natürlich die islamische Moral ist - drastische Strafen vorsieht, hat es eine enorme Bedeutung für das Alltagsleben in der Islamischen Republik.

Deshalb einige Beispiele, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Ehebruch wird – wenn beide Beteiligten volljährig sind – mit Steinigung bestraft. Jedes Detail ist gesetzlich geregelt, bis hin zur Größe der Steine. Frauen werden bei der Steinigung bis zur Brust in der Erde vergraben, Männer bis zur Taille. Das soll dazu dienen, die Flucht zu erschweren - denn wenn sie gelingt, ist es möglich, mit viel Glück eine Steinigung zu überleben.

Männliche Homosexualität wird, sofern die Beteiligten volljährig sind, mit dem Tod bestraft. Dasselbe gilt für Inzest, für Vergewaltigung mit Todesfolge und für außereheliche Beziehungen zwischen einem nichtmuslimischen Mann und einer muslimischen Frau - wobei natürlich vorausgesetzt wird, dass ein Muslim bleibt, wer einmal in den Islam hineingeboren ist. Wenn jemand vom Islam abfällt, öffentlich gegen die islamischen Würdenträger auftritt oder sich über sie lustig macht, kann er ebenfalls mit dem Tod bestraft werden.

Zu den Vergehen, die mit Auspeitschung bestraft werden, gehören weibliche Homosexualität, die Einnahme von Drogen oder Alkohol, Fluchen und andere sogenannte Verstöße gegen die öffentliche Moral. Auch die Verletzung der Kleiderordnung kann Auspeitschung, Geld- oder Gefängnisstrafe nach sich ziehen. Die vorgeschriebene Bekleidung für Frauen sieht die Bedeckung des gesamten Körpers bis auf Gesicht und Hände vor. Das Kopftuch und ein langer, weiter Mantel sind für alle Frauen und Mädchen ab 6 Jahren obligatorisch. Abol-Hassan Bani-Sadr, der erste Präsident der Islamischen Republik, erklärte 1981, wissenschaftliche Untersuchungen hätten gezeigt, dass von den Haaren der Frauen gefährliche Strahlen ausgingen, die Männer in den Wahnsinn trieben. Man könnte endlos Beispiele dafür anführen, wie Frauen durch die islamische Republik systematisch erniedrigt und verächtlich gemacht werden - von dem Verbot, ohne Einwilligung des Mannes einen Beruf zu ergreifen oder zu reisen bis zu dem geringeren Gewicht der Zeugenaussage einer Frau vor Gericht. Die Bekleidungsvorschriften sind nur der sinnfälligste Ausdruck dafür. - Auch bei den Auspeitschungen ist genau geregelt, von welcher Art die Peitsche sein muß (Lederpeitsche von 1 m Länge und 1,5 cm Durchmesser), in welcher Haltung und in welcher Bekleidung der oder die Verurteilte ausgepeitscht wird, welche Körperteile geschlagen werden sollen (verboten sind Kopf und Geschlechtsteile), die Heftigkeit der Schläge (sexuelle Vergehen härter als Alkoholgenuß) usw.

Die islamischen Strafgesetze wurden auch unter der Regierung Khatami, die hierzulande als Regierung der "Reformer" bekannt ist und als Gipfel der Opposition gilt, nicht abgeschafft. Zum Thema Steinigung hat die Regierung Khatami folgendes zu sagen:

"Wir sollten die Interessen unseres Landes in einer offenen Atmosphäre internationaler Public Relations im Blick behalten. Wäre es in unserem Interesse, wenn eine Steinigung gefilmt und im Ausland gesendet würde? Wenn nicht, sollten wir erwägen, das Urteil vor einer kleinen Versammlung Gläubiger zu vollstrecken, um Gegenreaktionen zuvorzukommen."
(www.unhchr.ch/Huridocda/Huridoca.nsf/0/8a599c1daf8f11e6802566ac00387b32?Opendocument)

So 1998 der Minister für "islamische Führung". Steinigung ist also in Ordnung, nein nötig – nur soll sie nicht in der Öffentlichkeit stattfinden, damit sie dem Ruf der Islamischen Republik nicht schadet. Seit 2002 hat die Regierung Khatami einen anderen Umgang mit dem schlechten Image im Ausland gefunden: sie verkündet, die Vollstreckung von Steinigungsurteilen werde ausgesetzt, fährt aber gleichzeitig mit dem Steinigen fort. Auch Todesurteile, Auspeitschungen und Gefängnisstrafen werden weiterhin vollstreckt.

Die islamische Verfassung des Iran ist bekanntlich das Ergebnis einer Revolution, die 1978/79 stattfand und sich gegen die westlich orientierte Modernisierungsdiktatur von Schah Mohammad Reza Pahlavi richtete. Symbolfigur dieser Revolution war Ayatollah Ruhollah Khomeini, der im Februar 1979 aus dem Exil in den Iran zurückkehrte und von Millionen Iranern als "Imam", d. h. als religiöser Führer, begrüßt wurde.

Weniger bekannt ist, daß die iranische Revolution zunächst nicht islamisch war. In ihrer Anfangsphase bestimmten säkulare und atheistische Gegner des Schahs das Bild: Kommunisten, Liberale, Demokraten, streikende Arbeiter. Es ist deshalb merkwürdig, dass nach dem Sturz des Schahs im Januar 1979 die Islamisten um Khomeini an die Macht kamen. Schon im April 1979 wurde eine Volksabstimmung abgehalten, in der neben der Beibehaltung der Monarchie nur die Proklamation einer "Islamischen Republik" zur Abstimmung stand. Die Islamisten waren die Sieger des Referendums. Duch Einschüchterungskampagnen, Folter und Mord verdrängten sie in der Folgezeit ihre politschen Gegner. Diese Entwicklung war für die linken Säkularisten und Atheisten, die die erste Phase der Revolution getragen hatten, eine Katastrophe: viele kamen in den Gefängnissen der Islamischen Republik ums Leben, viele flohen nach Amerika oder Europa. Zwischen 1981 und 1988 wurden tausende Kommunisten ermordet.

Einige Iraner, die damals am Sturz des Schahs teilnahmen und heute im Exil leben, erklären die islamische Wendung der Revolution damit, daß in der Schah-Zeit jede Opposition außer der islamischen verboten war: während die Kommunisten ins Gefängnis geworfen wurden, blieben die Islamisten den Moscheen unbehelligt und konnten von dort aus ungehindert die Massen beeinflussen. Andere betonen, dass sich Khomeini vor allem auf die rückständige Landbevölkerung, die kleinen Ladenbesitzer in den Basaren und die Bewohner der Slums gestützt habe, und verweisen auf die hohe Analphabetenrate. Ebenfalls beliebt ist die abstruse Behauptung, daß Khomeini deshalb so populär werden konnte, weil er heimlich Unterstützung von den USA erhalten habe.

Allen diesen Erklärungen, so unterschiedlich sie sind, ist gemeinsam, dass sie etwas wesentliches unterschlagen. Khomeini hätte kaum solchen Erfolg gehabt, wenn ihn anfangs nicht auch die Linken als Revolutionsführer anerkannt hätten. Der iranisch-amerikanische Journalist Amir Taheri hat diese Absurdität treffend beschrieben:

"Die iranischen Kommunisten, Sozialisten, Demokraten, Liberalen etc. versammelten sich allesamt hinter dem Banner Khomeinis, während sie behaupteten - und manchmal auch wirklich glaubten - dass sie für größere individuelle und allgemeine Freiheiten kämpften. In anderen Worten: um ein autoritäres Regime zu bekämpfen, gaben sie ihre Macht an eine faschistische Bewegung ab, die von einer kleinen Gruppe Mullahs und ihren nichtklerikalen Verbündeten angeführt wurde". (Amir Taheri, Fascism in Muslim Countries, NCAFP, 20.04.04)

Die Tudeh-Partei beispielsweise, die politische Vertretung der an der Sowjetunion orientierten Kommunisten stalinistischer Prägung, unterstützte Khomeini zum einen deshalb, weil sie glaubte, die Islamisierung sei nur eine Übergangserscheinung, die sich bald von selbst erledige, und zum anderen, weil sie ihr ein fortschrittliches Wesen zubilligte. Sie teilte den Antiamerikanismus und Antizionismus der Islamisten ebenso wie deren Vorliebe für Verschwörungstheorien. Außerdem verherrlichte sie, genau wie Khomeini und seine Anhänger, das Märtyrertum: die Selbstaufopferung des Individuums für die Bewegung.

Die Stimmung, die damals in dieser Partei herrschte, ist festgehalten in einer Resolution aus ihrem 17. Plenum:

"An dem großartigen revolutionären Kampf des iranischen Volkes hat die Tudeh-Partei Irans einen effektiven und aktiven Anteil gehabt. Sie unterstützte die antiimperialistische und populäre Linie Imam Khomeinis und seiner Anhänger, im Gegensatz zu Kräften, die sich der Revolution entgegenstellten, und entlarvte die konterrevolutionären Verschwörungen. Mitglieder der Partei haben in aller Ehrlichkeit und Beharrlichkeit nicht aufgehört, und werden es auch nicht, alles, selbst ihr Leben, auf diesem Weg zu opfern. Das Plenum nimmt die Position, die die Partei gewählt hat, in Unterstützung der antiimperialistischen und populären Linie Imam Khomeinis als grundlegend an und bekräftigt die beständige Opposition der Partei gegen Imperialismus, Zionismus und Konterrevolution, und auch ihren Kampf gegen Liberalismus und Sektenwesen." (http://www.kargar.org/AmalKar/WLU.htm)

Die Feindschaft gegen Israel und die USA – den "kleinen und den großen Satan" – war das einigende Band, das die disparate Revolutionsbewegung zusammenhielt, den Gegensatz von Rechts und Links zurücktreten ließ und damit die Islamisierung ermöglichte. Die "antiimperialistische und populäre Linie Imam Khomeinis" fand einen frühen Höhepunkt, als Teheraner Studenten im November 1979 die amerikanische Botschaft besetzten und die Botschaftsangehörigen – mit Billigung der islamischen Revolutionsregierung – über ein Jahr lang als Geiseln festhielten. Das Ziel der Aktion bestand darin, die USA zur Auslieferung des Schahs zu zwingen. Ergebnis der Geiselnahme war der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und dem Iran.

Die Vernichtung Israels ist – wie auch in anderen islamisch dominierten Ländern – offizielles Staatsprogramm. 1982 gründete der iranische Botschafter in Syrien, Ali Akbar Mohtashemi, im Libanon die Hezbollah, die von dort aus Krieg gegen Israel führt. Sie erhält bis heute über die "Märtyrerstiftung" des Revolutionsführers Khamene'i Geld und Waffen aus dem Iran. Der Iran unterstützt außerdem den Islamischen Jihad und die Hamas und zahlt Familien von Selbstmordattentätern Geld aus. Erst vor kurzem wurde von der iranischen Regierung eine neue Freiwilligeneinheit aufgestellt, die sog. Märtyreroperationen gegen die USA, Israel und gegen den britischen Schriftsteller Salman Rushdie ausführen soll. Natürlich steht auch das iranische Atomprogramm, um das es heute gehen wird, in diesem Kontext.

Prägnantester Ausdruck dieser Zustände sind die Reden von Khomeinis Nachfolger, Ayatollah Ali Khamene'i.

Die klingen beispielsweise so:

"Die unterdrückerischen Mächte und die zionistische Geschäftswelt wollen junge Menschen in die Sittenlosigkeit treiben und sie mit ihren sexuellen Instinkten beschäftigen, da dies der beste Weg ist, Nationen zu dominieren und ihre wirtschaftlichen Ressourcen unter Kontrolle zu bringen." (Ali Khamenei: Aufkommender Hitlerismus in Amerika, Mashhad, 22. März 2003)

Spätestens an Sätzen wie diesem wird klar, daß der Antizionismus letztlich nichts als ordinärer Antisemitismus ist.

Die regierungsoffiziellen Ausfälle gegen Israel und die USA sind in der Islamischen Republik eine Konstante, doch in den letzten Jahren hat sich etwas wesentliches verändert: sie haben an Integrationskraft verloren. Seit einiger Zeit ist die Mehrheit der Iraner - von dem auf die "Reformer" fixierten Blick der deutschen Medien ziemlich unbemerkt - deutlich von der "antiimperialistischen und populären Linie Imam Khomeinis" abgerückt. Die feindselige Stimmung gegen die Islamische Republik beschränkt sich keineswegs auf die Studenten. Die Jugendlichen, die in der Islamischen Republik aufgewachsen sind und 80% der Bevölkerung ausmachen, pfeifen inzwischen meist auf den Islam, gehen nicht mehr in die Moschee und umgehen die religiösen Vorschriften des Staates, wo sie nur können. Frauen und Mädchen sabotieren die Kleiderordnung, indem sie immer mehr Haar zeigen, kürzere Mäntel tragen, sich schminken und sich nach westlicher Mode kleiden. Abends werden illegale Parties abgehalten, auf denen Kleiderordnung, Geschlechtertrennung, Tanz- und Alkoholverbot ignoriert werden. Auf jeder Demonstration, gleich zu welchem Anlaß sie zusammengekommen ist, wird inzwischen nicht mehr nur gegen bestimmte eingrenzbare Mißstände oder gegen die Konservativen, sondern gegen die Islamische Republik insgesamt protestiert. Dabei rufen die Demonstranten auch Parolen, die manchen westlichen Multi-Kulti-Fan oder Friedensbewegten vielleicht überraschen: "Nieder mit den Taliban, in Kabul und Teheran!" war z. B. eine beliebter Sprechchor nach dem 11. September 2001. Anders als in der übrigen islamischen Welt und anders als selbst im Westen fand der "War on Terror" im Iran eine breite Zustimmung. Die Sympathie für die USA ging so weit, dass sich nach einem Bericht der antiamerikanischen Zeitung "Le Monde" die Regierung Khatami im April 2003 über die proamerikanischen Gefühle der iranischen Bevölkerung besorgt zeigte, insbesondere, wie es hieß, über den Ruf nach einem "Wechsel des Regimes mit Hilfe der amerikanischen Marines". Die meisten Iraner, ist allerdings einschränkend zu sagen, würden es wohl bevorzugen, wenn sie selbst den Sturz der Islamischen Republik bewerkstelligen könnten.

Das Verhältnis der Protestbewegung zu Israel ist zwiegespalten. Einerseits gibt es eine Tendenz, der palästinensischen Avantgarde der antisemitischen Internationale die Solidarität zu entziehen. Dies zeigt sich z. B. in der Parole "Überlaßt Palästina sich selbst, denkt an uns!". Teheraner Studentengruppen haben schon öfters dazu aufgefordert, antizionistische Propagandaveranstaltungen zu boykottieren. Die deutlichste Manifestation gegen den Antizionismus waren Kundgebungen nach dem Erdbeben von Bam, als die Regierung die von Israel angebotene Erdbebenhilfe zurückgewiesen und die der USA zähneknirschend akzeptiert hatte: als Reaktion darauf wurde in mehreren iranischen Städten "Lang lebe Amerika!" und "Lang lebe Israel!" gerufen. Andererseits wird die iranische Protestbewegung manchmal mit der Intifada, die Islamische Republik dagegen mit Israel verglichen.

Im Moment scheint die iranische Opposition eine eher abwartende Haltung einzunehmen. Das könnte nicht nur an der ungewissen Situation im Irak, sondern auch daran liegen, daß das Verhältnis zu Israel nach wie vor ungeklärt ist. Die iranische Protestbewegung wird sich entscheiden müssen, wie sie es damit hält. Ob es gelingt, die Islamische Republik zu stürzen, wird auch davon abhängen, wie diese Entscheidung ausfällt.

 

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