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Der 8. Mai als Tag der großen
Einigkeit Dass es keinen nennenswerten inhaltlichen Unterschied mehr zwischen der deutschen Linken und ihrer Regierung gibt, wurde spätestens anlässlich des Irak-Krieges deutlich, als gerade die Linken sich anschickten, an die Spitze der antiamerikanischen Massenbewegung zu treten, welche der Bundeskanzler ausgerufen hatte. Der Frieden mit einem faschistischen Diktator wurde von allen Deutschen beschworen, ob links oder konservativ, ob ökologisch oder liberal, ob nazistisch oder linksradikal. Ähnlich verhält es sich am 8. Mai: Auch hier – allerorten große Einigkeit. Der Bundeskanzler feiert den 8. Mai ebenso als „Tag der Befreiung“ wie die Deutsch-Rapper Brothers Keepers, die zwar nicht besonders helle sind, aber dennoch aufgrund der Art ihres Broterwerbes genau wissen, wonach der Zeitgeist verlangt. Da darf die Linke nicht hintanstehen: Überall in der Republik wird gefeiert, was das Zeug hält, auf dass auch keinem Mitbürger entgehe, wer den Anspruch auf eine zivilgesellschaftliche Avantgardefunktion erheben kann. Ob die Linksradikalen aus Berlin, die gegen die Neonazis demonstrieren, oder die Antifa West aus Bielefeld, die in Sachen 8. Mai ganz der Ansicht ihres Kanzlers ist und ansonsten eigentlich nur die als existentielle Bedrohung halluzinierten Antideutschen bekämpfen mag – ständig ist die Linke auf der Suche nach Gegnern, um ihre eigene Überflüssigkeit zu kaschieren. Gegen Nazis und Antideutsche, das ist ihre Credo für den 8. Mai, denn beide stören, wenn auch auf gegensätzliche Weise, die große Einigkeit. Weil die Neonazis konsequent die Ideologie ihrer Vorbilder vertreten, müssen sie von den demokratischen Deutschen aus der Gemeinschaft ausgestoßen werden, um nicht die Wahrheit ans Licht treten zu lassen, dass die Nazis nicht grundsätzlich anders denken als ihre demokratischen Volksgenos-sen. Angesichts der vorherrschenden Einigkeit erstaunt es um so mehr, wenn linke Gruppen wie der Antifa KOK aus Düsseldorf so tun, als seien sie mutige Tabubrecher. Wenn sie „eine linke, antifaschistische Sichtweise über die damaligen Geschehnisse“ darstellen wollen, mag man sich nur noch verwundert am Kopf kratzen. Die „linke, antifaschistische Sichtweise“ nämlich, ist längst die der Bundesregierung. Vizekanzler und Außenminister Joschka Fischer, der seine politischen Wurzeln in der linksradikalen Szene hat, betont in einer Rede „zum Gedenken an den 60. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager“, welche er am 24. Januar vor der UNO in New York hielt, er habe seine „politischen Überzeugungen nicht an der Garderobe des Auswärtigen Amtes“ abgegeben. Das stimmt, denn er ist sich mit dem Antifa KOK, der am 8. Mai unter dem Motto „Rechte Kontinuitäten bekämpfen!“ demonstriert, vollkommen einig. Es besteht nicht die kleinste Differenz, man könnte meinen, er habe seine Rede einfach aus diversen Antifa-Flugblättern zusammen gestoppelt. Dort heißt es: „Der Name des Vernichtungslagers Auschwitz steht für die Shoah“ – eine blödsinnige Tautologie, die zum Ausdruck bringt, dass dem Fischer in Wahrheit die Shoah ziemlich am Arsch vorbeigeht. Doch weiter im Text: „Millionen Menschen sind dem monströsen, kaltblütig geplanten Massenmord der Nazis zum Opfer gefallen: Jüdinnen und Juden – vor allem sie, aber auch Sinti und Roma, Homosexuelle, Behinderte, Kriegsgefangene, Oppositionelle und viele andere Menschen aus ganz Europa. Sie wurden in Auschwitz, Treblinka, Sobibor, Majdanek und anderen Konzentrations- und Vernichtungslagern auf deutschen Befehl und durch Deutsche barbarisch gequält, durch Zwangsarbeit oder pseudo-medizinische Experimente brutal ermordet, exekutiert und vergast.“ Joschka Fischers Beschreibung ist korrekt, es gibt dort nichts zu korrigieren, aufzudecken, zu entlarven. Von einem „deutschen Opferwahn“, wie er von diversen Antifa-Gruppen beschworen wird, um sich irgendwie vom mainstream abgrenzen zu können, kann keine Rede sein. Auch Fischer möchte, wie der Antifa KOK, „rechte Kontinuitäten bekämpfen“, wie wir spätestens seit dem Skandal um die Ehrungen für im Auswärtigen Amt tätige Ex-Nazis wissen. In einer Gedenkrede für den Widerstandskämpfer Fritz Kolbe monierte Fischer ebenfalls genau jene personelle Kontinuität, auf die die Nachkriegslinke das „Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie“ (Adorno) stets reduzierte. Fischer: „Im neu formierten Auswärtigen Amt fand sich damals auch viel Altes wieder (...). Zahlreiche der neuen Diplomaten waren auch schon unter Hitler im Auswärtigen Dienst beschäftigt gewesen. Viele von ihnen hatten sich mit dem Naziregime arrangiert, einige sogar tatkräftig mitgemacht.“ Fischer ist angetreten, dies zu verändern. Deshalb präsentiert er statt rechter Kontinuität einen Mann, der zum staatsbürgerlichen Ideal taugt. An Fritz Kolbe bewundert er vor allem dessen Idealismus, Opferbereitschaft und Konsequenz. Er zitiert Kolbes ehrliche Sorge ums Vaterland, die sich in „unbedingtem Kampfwillen und Bereitschaft für unsere Ideale“ manifestierte. Fischer ist entzückt von so viel „Entschlossenheit“, „Wagemut“ und schlussendlich: „Kaltblütigkeit“. Dass sich die von Fischer so gelobten Tugenden wunderbar zur Leitung eines KZs oder zur Durch-führung eines Vernichtungskrieges eignen, scheint ihm nicht bewusst zu sein. Zu selbstverständlich ist, dass ein guter Deutscher opferbereit zu sein hat und im Dienste der Gemeinschaft zu allem fähig sein muss, und sei es die Preisgabe des eigenen Lebens. So lobt er Kolbe nicht etwa dafür, dass er Mitleid mit den Verfolgten gehabt habe, denn das ist einem deutschen Vizekanzler viel zu schnöde. Nein, es muss schon eine so große und heilige Sache sein wie ein „innerdeutscher Widerstand, (...) der jetzt nicht oder für spätere Zeiten nach Belohnung fragt, sondern dem verhassten Regime Widerstand leistet, aus innerer Überzeugung, einfach um der Sache selbst willen.“ Jockel betont, nicht Kolbe sei der „Vaterlandsverräter“ gewesen, „sondern Adolf Hitler“. Die Kontinuität des Nationalsozialismus steckt in dem Gedanken, der Einzelne müsse sich für die Gemeinschaft opfern, so dass der linke Antifaschismus, der die Nazis für „unsozial“ hält, notwendig zur Apologie des besseren Deutschlands gerinnen muss. Dieser Antifaschismus streitet gegen die Nazis auf gleicher Geschäftsgrundlage, beide schreien „Gemeinnutz geht vor Eigennutz!“ Franz Münteferings verbales Pogrom gegen die „Heuschrecken“ des „Finanzkapitals“ ist daher in diesem Sinne ebenso antifaschistisch wie nationalsozialistisch. Mit der dauernden Beschwichtigung, die „Zivilgesellschaft“, die „Demokratie“ oder den „Rechtsstaat“ gegen die Gemeinschaftsschädlinge – wahlweise der braune Mob oder die Kapitalmagnaten – verteidigen zu müssen, ist die völkische Drohgebärde zum integralen Bestandteil der postnazistischen Demokratie geworden. Das neue Deutschland ist trotz Hartz IV – oder vielleicht gerade deshalb – zutiefst sozial und bewahrt seine Bürger vor der „Amerikanisierung“ der Verhältnisse, die ja, wie wir wissen, die Menschen direkt in die Arme der braunen Rattenfänger treiben würden. Weil die Deutschen aus ihrer Vergangenheit gelernt haben und nun die Musterdemokratie par excellence darzustellen meinen, schwingen sie sich zum Hüter über Gerechtigkeit und Moral auf. Deshalb sagt der Fischer zuerst: „Das neue, das demokratische Deutschland hat die Lehren daraus (aus Auschwitz) gezogen. Es ist von der historisch-moralischen Verantwortung für Auschwitz tief geprägt.“ Und dann: „Weil ein Völkermord nie unvermittelt geschieht, müssen wir schon seine Vorboten bekämpfen. Wir müssen uns Krieg, Bürgerkrieg und der Missachtung der Menschenrechte, aber auch totalitären Ideen, Hasspropaganda und Gewaltverherrlichung entschlossen entgegenstellen. Dazu sind wir verpflichtet.“ Und wer verpflichtet die Deutschen zu so viel Tatendrang? „Dazu verpflichtet uns unsere Geschichte.“ Der Staatsantifaschismus ist dennoch keine bloße Pflichtübung, sondern begründet Deutschlands Großmachtansprüche. Die geplante Rolle als Großmacht erscheint aus Fischers Perspektive als einzig mögliche Konsequenz aus der Geschichte. Wenn Deutschland Weltmeister in Sachen Vergangenheitsbewältigung ist, dann kann es dazu beitragen, die Überwindung von „Fremdenfeindlichkeit“ und „Rassismus“ auch anderen Nationen beizubringen. In einer Rede, die Fischer am 8. September 2004 vor dem Deutschen Bundestag hielt, brachte er die dieser Überlegung folgende Außenpolitik auf den Punkt: „Wir müssen (...) den Nahostkonflikt lösen und müssen allen jungen Gesellschaften im Nahen Osten auf einer gemeinsamen partnerschaftlichen Grundlage eine Perspektive für eine friedliche Transformation und den Anschluss an die Moderne auf Grundlage der großartigen Kultur des Islam eröffnen.“ Fischers Lehren aus der Geschichte sind also, zusammengefasst: - Deutschland muss den Juden in Israel Wohlverhalten beibringen. Das ganze kulturalistische und „pazifistische“ Geschwätz des neuen Deutschlands entspringt einem Antifaschismus, der niemals begriffen hat, was den Nationalsozialismus ausmachte, weil er dazu die Grundlagen seiner eigenen Gesellschaftsform – Volk, Staat, Kapitalismus – hätte infrage stellen müssen. Doch darum ging es nie, auch nicht der Mehrheit der 68er-Linken, wie Jockel Fischer einer war. Sie wollten immer nur das bessere, das gerechtere, das sozialere Deutschland und waren deshalb so gefesselt von den angeblich um Befreiung kämpfenden Völkern der Dritten Welt, weil sie sich selbst nach jener tödlich harmonischen Volksfront sehnten, der sie auch heute noch anhängen. Antifaschismus, das bedeutet ihnen der Zusammenschluss des ganzen Volkes gegen Störenfriede, welche die Harmonie der postnazistischen Demokratie untergraben. Weil sie aber die Störenfriede nicht nur loswerden wollen, sondern sie auch dringend benötigen, um überhaupt so etwas wie Gemeinschaft negativ konstituieren zu können, spricht der Volkszorn aus der Erklärung des Antifa KOK, der den Antifaschismus als „wichtigste Investition für die Zukunft“ benennt. Wie recht sie doch haben, wenn auch völlig anders als intendiert: Ohne das einigende Band des Antifaschismus würde die deutsche Gemeinschaft auseinanderfallen.
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