Die Produktion von Sorgenfalten
Eine Antwort auf das Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus, Berlin (BgAA)

Vorausgegangen ist der hiermit fortgeführten Auseinandersetzung der Artikel „Wenn Islam- und Postfaschismus die Antwort ist (sic!) – was war dann die Frage?“ (Heinrich Regius, BgAA) in der Ausgabe 14 der Phase 2, sowie die Replik „Begriffslose Akrobatik“ (Andi Möller, GWG Köln) in der Ausgabe 15 der Phase 2, sowie die Entgegnung des BgAA „Für ein sorgfältiges Lesen!“, veröffentlicht auf dessen Homepage.

Die Schmähschrift „Für ein sorgfältiges Lesen!“ vom Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus, Berlin (BgAA) sollte wohl eine solche polemische Schlagkraft aufweisen, dass ihr Objekt nur noch winselnd und um Vergebung bettelnd in der Ecke läge. Doch beim sorgfältigen und daher zwangsläufig Sorgenfalten produzierenden Lesen des Textes ereilt den Leser viel eher der Verdacht, die Autoren seien gekränkt und fühlten sich auf den Schlips getreten. Nur so ist die überreiche Anzahl an Invektiven zu erklären: die im Text „Begriffslose Akrobatik“ geleistete Kritik scheint ihren Gegenstand getroffen zu haben.

I.

Das BgAA wehrt sich auf zweierlei Weise: erstens behauptet es, Regius hätte alles ganz anders gemeint. Andi Möller habe „Unterstellungen und grobe Verzerrungen“ vorgenommen (1), sei „bar jeglicher Textkenntnis“, habe „marktschreierisch (...) eine von uns gar nicht aufgestellte These“ zurückgewiesen und – so der Oberlehrer – das „Thema verfehlt“. Die zweite Form der Auseinandersetzung mit der an sie herangetragenen Kritik erschöpft sich in wüsten Beschimpfungen: Andi Möller habe „Stuss“ verfasst, sei „paranoid und rassistisch“, „stereopathisch“ (2), gehe „der nationalsozialistischen Ideologie auf den Leim“ und sei ein „Deutscher“, der keine Lüge aussprechen könne, „ohne sie selbst zu glauben“. Sie kennen noch mehr fesche Zitate von Adorno und wenden sie auf Möller an: Er verstehe nichts von dem Gegenstand, deshalb stolpere er in „Quatsch“ und betreibe ein „sprachliches Brimborium“. (3) Dass wir auf diese Beschimpfungen, die ohne viel Federlesens eines unserer Mitglieder zum verkappten Nazi erklären (4), nicht weiter eingehen, sollte verständlich sein. Auch das anscheinend ungeheure Geltungsbedürfnis, das hinter dem autoritären Duktus und der ständigen sinnlosen Rezitation intellektueller Größen hervorlugt, ist Sache einzig des BgAA selbst. Widmen wir uns also der handvoll inhaltlicher Aussagen, die im Text getroffen werden:

II.

Das BgAA behauptet, seine These, der Islamismus könne mit dem Nazismus nicht gleichgesetzt werden, sei mittlerweile hinreichend belegt worden. Dass es dafür als Kronzeugen ausgerechnet den Anhänger eines demokratischen Islam von unten, Thomas Schmidinger, benennt, macht sein Argument nicht stärker. (5) Auch die von Küntzel geleistete Aufzählung der Unterschiede von Nationalsozialismus und Islamismus, welche das Bündnis zustimmend zitiert, ist nicht geeignet, unsere These zu entkräften, dass der Islamismus der legitime Erbe des Nationalsozialismus ist. Denn es war ja niemals davon die Rede, beide seien identisch. Was NS und Islamismus gemein haben und dass diese Gemeinsamkeiten nicht sekundär, sondern wesentlich sind, wurde in dem Artikel „Begriffslose Akrobatik“ bereits dargelegt. Das Bündnis gegen Antisemitismus (!) jedoch wirft uns vor, wir würden stets nur von Antisemitismus reden und zum NS gehöre ja wohl noch einiges mehr – die anderen „Opfergruppen“ zum Beispiel. Dabei übersieht das Bündnis, dass der Rassismus, die Homophobie oder die Euthanasie zwar zweifellos ein fester Bestandteil nationalsozialistischer Ideologie und Politik waren, dass aber einzig die von Staats wegen und unter reger Anteilnahme der Bevölkerung, also höchst demokratisch betriebene Vernichtung der Juden das Spezifikum des deutschen Projektes darstellt. (6) Antirassisten schweigen sich nicht ohne Grund so oft über den Antisemitismus aus, wenn sie etwa das Südafrika zur Zeit der Apartheid als Wiedergänger des Nationalsozialismus bezeichnen. Zudem galt der Rassismus der Deutschen für die „Hilfsvölker“ in Sachen Judenmord nur insofern, als diese zwar als „Rasse“ angesehen wurden, aber als „nützliche“ oder gar „edle Rasse“ mitunter durchaus zum Bündnispartner taugten – etwa die Araber wie Matthias Küntzel gezeigt hat, aber auch Kroaten oder Letten. Die Euthanasie wurde – so zeigt es Goldhagen – nach Protesten in der Bevölkerung eingestellt. Der Antisemitismus dagegen wurde bis zum letzten Kriegstag weiter geführt, ja, sogar noch über das Kriegsende hinaus, wie an den Angriffen auf displaced persons zu erkennen ist.

III.

Derlei interessiert das Bündnis offenbar nicht. (7) Stattdessen bezeichnet es die Kritik des Islam als „rassistisch“ und geht dabei ganz konform mit seiner pro-islamischen, zutiefst deutschen Umwelt. Die Islamisten seien die Übeltäter, heißt es, doch die müsse man streng vom Islam selbst trennen. Doch die In-Eins-Setzung von Islam und Islamismus ist uns nicht im „Eifer des Gefechts“ passiert. Sie hat ihren Grund in einer Analyse des Islam – was, da wir keine Strukturalisten sind, nur heißen kann, das Wesen des Islam als ein historisch und gesellschaftlich vermitteltes zu begreifen. Konkret bedeutet das, den gegenwärtigen Islam als eine (wahnhaft) antikapitalistische Bewegung zu begreifen, die nicht etwa vormodern ist, sondern deren Ideologie dem fetischistischen Bewusstsein des Kapitalsubjektes in der Krise entspringt. So verstanden gibt es keinen Grund davon auszugehen, dass nur Leute mit islamischer Herkunft auf diese barbarische Ideologie abfahren könnten – was ja nicht zuletzt die rasant steigende Zahl von Konvertiten bezeugt. Der Unterschied nun zwischen Islam und Islamismus besteht darin, dass letzterer die Speerspitze des ersteren darstellt – was in den Begriffen „fundamentalistisch“ und „radikal“ deutlich wird. Das BgAA dagegen nennt die Opfer der islamischen Umma in Algerien „moderate Moslems“ und nicht etwa Individuen, die sich den Zwängen der Religion widersetzen wollten. Wie auch immer sich diese Opfer selbst bezeichnet haben – „Moslem“, „Atheist“, „Araber“ – sie sind ermordet worden, weil sie sich wirklich oder vermeintlich dem Islam nicht mehr unterwerfen wollten. Sie als „moderate Moslems“ zu bezeichnen, verschärft nur die Zwangskollektivierung, der sie durch die Tugendwächter und Clanchefs ausgesetzt sind. Dagegen gilt es, die Barbarei des Islam zu betonen: nicht nur die Bluttaten zu benennen, die von seinen Anhängern weltweit ausgeführt wurden und werden, sondern auch seine Schriften – etwa den Koran und die Hadithen – als frauenfeindlich, antisemitisch, autoritär, homophob und antiindividualistisch zu denunzieren. Wer es nicht glauben mag, soll sich das verdammte grüne Buch irgendwo ausleihen und es selbst nachlesen.

IV.

Das BgAA mag weiter nach der „kulturellen Vermittlung der strukturellen Dispositionen kapitalistisch vergesellschafteter Individuen“ für den Antisemitismus fahnden: wenn es sich weigert zur Kenntnis zu nehmen, dass – legt man ihre begriffslose Trennung „Kultur hier, Kapitalismus dort“ zu Grunde – gerade der Islam eine solche „kulturelle Vermittlung“ darstellen müsste, wird das Bündnis immer auf dem Holzweg bleiben. Das islamische wie das deutsche Besondere müsste als Erscheinungsform des „falschen Allgemeinen“ benannt werden (8), und zwar so, dass das Besondere stets neu durch das falsche Allgemeine hervorgebracht wird, das falsche Allgemeine aber nur durch das Handeln der Individuen Bestand hat. Der Einwand, auch Israel könne im so verstandenen Allgemeinen kein Bollwerk mehr gegen den Antisemitismus darstellen, zeigt nur, dass das BgAA selbst Israel als einen Staat wie jeden anderen behandelt. Denn dass Israel gerade durch seine spezifische Gründungsgeschichte der antisemitischen Tendenz des Allgemeinen entgegengesetzt ist, dass also Israel tatsächlich das Resultat eines Prozesses ist, in dem die Individuen (die Juden) wenigstens einmal ihr Schicksal selbst in die Hand genommen haben, nimmt das BgAA nicht zur Kenntnis. Israel wird zwar den Antisemitismus nicht aus der Welt schaffen können, aber es verhindert eine neue „Endlösung“. Deshalb ist es sehr wohl ein Bollwerk gegen den Antisemitismus, aber notwendig keines gegen die Tatsache, dass der Tauschwert im Gebrauchswert erscheint. Für Kommunisten gälte es, die Abschaffung des falschen Ganzen herbeizuführen und gleichzeitig Israel auch deshalb bedingungslos zu verteidigen, weil die Möglichkeit der kommunistischen Revolution entscheidend davon abhängt, ob die negative Aufhebung des Kapitals auf seiner eigenen Grundlage, also die Entladung des antisemitischen Wahns, noch einmal möglich ist.

Anmerkungen:

(1) Das „falsche Zitat“, welches Andi Möller vorgeworfen wird, erschöpft sich darin, anstatt „Ausmerzung lebensunwerten Lebens“ „Ausmerzung unwerten Lebens“ geschrieben zu haben, was inhaltlich identisch ist.

(2) Was auch immer dieses Wort bedeuten mag. Der Duden, 23. Auflage 2004, jedenfalls, kennt dieses Wort nicht. Das Fremdwörterbuch, ebenfalls im Dudenverlag erschienen, führt es auch nicht. In dem Artikel „Kapitalismus und deutsche Spezifik“, erschienen in der Ausgabe 16 der Phase 2, erklärt BgAA-Mitglied Judith W. Lyotard den Text „Für ein sorgfältiges Lesen!“ zur „Symptombehandlung“, Andi Möllers Position ist ihr also ein Krankheitsbild.

(3) Als sprachliches Brimborium wäre es zu bezeichnen, einerseits für ein sorgfältiges Lesen einzutreten und andererseits Andi Möller der Pedanterie zu bezichtigen. Kennt das BgAA die Bedeutung der von ihr verwendeten Worte selbst nicht oder soll dieser Widerspruch ein dialektisches Lehrstück sein?

(4) Oder was ist jemand sonst, der der nationalsozialistischen Ideologie auf den Leim geht, paranoid und rassistisch ist und den Manichäismus „Völker gegen Juden“ mit den Nazis teilt?

(5) Vgl. unseren Aufsatz „Der Mufti of Marxism. Wie die Israelsolidarität den 'gemäßigten Islamismus’ entdeckte“ in der Nr. 47 der Bahamas.

(6) In dem Artikel „Kapitalismus und deutsche Spezifik“ erwähnt Judith W. Lyotard zwar nur beiläufig, aber richtig, der Antisemitismus sei nur in Deutschland „konsequent verstaatlicht und im Bündnis von Volk und Staat in historisch singulärer Form exekutiert“ worden. Leider zieht das Bündnis aus dieser Erkenntnis keine weiteren Schlüsse. Im Folgenden ergeht sich Lyotard nur noch in Geschichtsfetischismus und tut so, als sei die Geschichte eine eigene Triebkraft der Gesellschaft und könne unabhängig von den Produktionsverhältnissen (einschließlich der daraus folgenden Bewusstseinsformen) betrachtet werden. Besonders absurd wird diese Abspaltung, wenn Lyotard die Spezifik deutscher Staatlichkeit benennen will. Dann nämlich verfällt sie auf den rohen Gegensatz von „demos“ und „ethnos“, wobei sie der demokratischen Propaganda auf den Leim geht. In Algerien und den USA habe die „Bevölkerung“ die Nation gebildet, in Deutschland sei die Nation nur durch eine „Vereinheitlichung des Volkes“ zustande gekommen. Dass diese Begründung bei jeder genaueren Betrachtung algerischer bzw. amerikanischer Geschichte gnadenlos scheitern muss, Lyotard also eine unwahre Begründung für die Differenz zwischen Deutschland und den USA angibt, weil jede Nation sich durch Vereinheitlichung konstituiert, zeigt, wie sehr sie der Faszination für die scheinbar autonom wirkende Geschichte erlegen ist. Dass der Unterschied zwischen deut-schem Volksstaat und bürgerlich-revolutionärem Nationalstaat dagegen im Verhältnis des Bürgers zum Staat besteht, wird in zahlreichen der Texte weiter ausgeführt, die das Bündnis zitiert, aber offenbar nicht verstanden hat.

(7) Dagegen schwätzt es erneut offenkundige Unwahrheiten über den NS daher, etwa, die „allgemeine, freie Rechtssubjektivität“ sei im NS „unangetastet“ geblieben. Wie ignorant muss man eigentlich sein, um die Entrechtlichung der Juden, die der Vernichtung vorausging, einfach mal so zu vergessen?

(8) Der materialistische Begriff des Allgemeinen schließt zwar alles Besondere ein, hebt es aber nicht in dieser Allgemeinheit auf, wie es die Identitätslogik der Metamorphose des Werts nahe legt. Gerade das bietet ja die Möglichkeit, zwischen Wesen und Erscheinung überhaupt noch unterscheiden zu können.

 

(23. Juni 2005)


 

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