Wir sind die Schaffenden!
Linksdeutsche suchen den Anschluss

Die Gruppe MAD möchte gerne so tun, als seien die Antideutschen bereits Geschichte. Die Antideutschen nämlich stehen ihrem Anliegen im Weg, die Linke „neu zu konstituieren“. Um das, was bei den Antideutschen „richtig und wichtig“ ist, zu konservieren und es in diese neue Linke einzugliedern, haben sie sich ausgerechnet Gerhard Hanloser eingeladen, der seit seinem Sammelband „Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken“ als Bescheidwisser in Sachen Gesellschaftskritik gilt.

Hanloser, der „ausgemachte Linksmichel“ (ISF), ist ein Anhänger der „Arbeiterklasse“, die ihm Grund aller Hoffnungen und Ursache aller Verzweiflung ist. Er ignoriert schlicht, dass sie heute – nach dem Nationalsozialismus – als „variables Kapital“ auf Gedeih und Verderb mit dem Kapital verschmolzen ist: dass sie also nicht dem Kapital entgegengesetzt ist, sondern dessen bloße Funktion.

Nicht, dass es schlimm wäre in der Arbeiterklasse den Erlöser zu erblicken, andere Religionen haben auch ihren Messias. Mit Gesellschaftskritik jedoch hat dieser Aberglaube nichts zu tun. Diese nämlich müsste ansetzen bei der Kritik der Ohnmacht des Individuums, das Hanloser lediglich als neoliberale Ideologie abtun möchte: „Der Neoliberalismus erklärte schließlich auch in den westlichen Zentren die Arbeiter zum Feind und jeden zum Individuum.“ In der Arbeit soll wie weiland die Befreiung stecken, die das Individuum zum Volksgenossen erhebt, welches für Hanloser ein von bürgerlichen Ideologen geschaffenes Hirngespinst darstellt, das gegen das scheinbar revolutionäre Kollektiv der schaffenden Arbeit in die Welt gesetzt wurde. Zu einem solchen Gemeinschaftswahn kommt, wer gut sozialdemokratisch die Arbeit als positive Grundkategorie versteht und sich lediglich gegen ihre Fremd-Ausbeutung wehrt. Solcherlei Marxismus kulminiert in der fetischistischen Vorstellung, die Arbeiter würden um ihren Mehrwert betrogen: Die Arbeiterbewegung habe in ihrer Fixierung auf den Mehrwert „an den Ursprung von Herrschaft, Ausbeutung und Leiden immerhin, wenn auch falsch, erinnert.“ Wo der Mehrwert der Ursprung des Leidens ist und nicht der Wert (mithin der Charakter des Kapitals als „automatisches Subjekt“ ausgeblendet wird), da gilt es bloß noch die Arbeiterklasse in Stellung zu bringen. Und wie könnte sich ein auf Schaffenskraft stützendes Kollektiv besser verwirklichen lassen als in der Feindschaft gegenüber den Schmarotzern, Zersetzern und Faulpelzen: „Der aktuelle Kapitalismus, der gerne 'Neoliberalismus’ genannt wird, ist gut im Zersetzen, er ist aber keine schaffende Kraft.“ Es ist derart deutsch-sozialistisches Geschwätz, das den Hanloser bei den Linken so beliebt macht, seine Liebe zur konkreten Tätigkeit (auch des Theoretikers, der sich von der antideutschen „Abgeho-benheit“ nicht seine „Realanalyse“ kaputt machen lässt), anstatt des intellektuellen Geredes, das immerzu den “Begriff von sozialer Egalität (...) individualistisch gestimmt entsorgen“ will.

Hanlosers Vorstellung von sozialer Egalität läuft nicht zufällig auf das Lob des Sozialstaates hinaus, denn was wäre schon ein echter Klassenkämpfer ohne die im Klassenkampf angelegte Staatsversessenheit? So meint Hanloser, im New Deal seien „die Arbeiter zu ihrem Recht gekommen“, er habe „die Macht des big business beschnitten“ (freudsche Fehlleistung?) und sorge „für eine Integration der Arbeiter in die Lohnarbeit bei angemessener Interessenvertretung durch Ge-werkschaften“ sowie eine „staatliche Geldpolitik, die durchaus auch Verschuldung auf sich“ nehme. Weil Hanlosers politisch korrektes Gewissen (wie bei allen Karrieristen) es verbietet, sich angesichts der Schoah allzu positiv auf den deutschen (National-) Sozialstaat zu beziehen, heftet sich seine Begeisterung für autoritäre, anti-bürgerliche Mobilmachung an den amerikanischen Souverän im Angesicht der Krise: doch sein Lob der Wirtschaftspolitik des New Deal könnte ebenso für den NS gelten.

Angesichts solcher politischer Vorstellungen verwundert es nicht, dass Hanloser nicht nur die No-Globals vor dem Antisemitismusvorwurf zu schützen sucht, sondern selbst ebenfalls antiamerikanisch und antizionistisch dahersalbadert. So mag er zwischen Saddam Hussein und George W. Bush keinen Unterschied feststellen („Warum sollte man sich vor Saddam Hussein mehr fürchten als vor George W. Bush?“), behauptet, der „Anschlag auf das World Trade Center“ sei „den USA“ in „vielerlei Hinsicht gelegen“ gekommen und die israelische Besatzungspolitik sei „unhaltbar“. Der „zum Staat gewordene Zionismus“ baue seine „aggressiv-nationalistische Seite weiter aus“ und rechtfertige „nicht nur die Existenz eines jüdischen Staates in Palästina (!), sondern auch die reale Staatspraxis über die Existenz des Antisemitismus.“ Unverschämt: Da rechtfertigt Israel seine Politik mit dem Antisemitismus, betreibt wie die Antideutschen „Geschichtspessimis-mus“, obwohl der Hanloser doch weiß, dass es eine Klassengesellschaft wie jede andere ist und das Happy End darin liegt, dass das „Telos des Kapitals (...) die Revolution“ ist.

Sicher mag es angesichts der katastrophischen Gegenwart reizvoll sein, den Versprechen eines solchen falschen Propheten zu folgen: Kommunistisch dagegen wäre die Absage an den Ge-danken, dass die Geschichte aus sich selbst zur Befreiung drängt. Befreiung ist weiterhin nur als von den assoziierten Individuen selbst herbeigeführte Verwirklichung des bürgerlichen Glücksversprechens möglich. An der bürgerlichen Freiheit und Gleichheit wäre einzig zu kritisieren, dass sie in der warenproduzierenden Gesellschaft notwendig bloß formal bleiben und sich deshalb permanent in Zwang und Ausbeutung verkehren. Damit ist das bürgerliche Glücksversprechen zwar Schein, enthält aber im Gegensatz zum Gemeinschaftswahn der deutschen Ideologie (wahlweise mit sozialdemokratischem, nationalsozialistischem oder konservativem Etikett) noch die Möglichkeit des Besseren. Hanloser dagegen fahndet nach Volksfeinden, denen die Boshaftigkeit ins Gesicht geschrieben steht: „Der Klassenkampf von oben scheint bislang nur zwei bewusst handelnde Akteure zu haben: die Kapitalisten und eine Regierung, die das Geschäft eines parteiischen Klassenstaats erledigt.“ Die Alternative, die heute Abend zur Debatte steht, ist die zwischen BILD-Zeitung und Kritischer Theorie, also zwischen antisemitisch grundiertem Antikapitalismus und Kritik in kommunistischer Absicht.

Verwendete und zitierte Literatur:

Bundesrepublikanischer Linksradikalismus und Israel – Antifaschismus und Revolutionismus als Tragödie und als Farce, in: Gerhard Hanloser (Hrsg.), „Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken“. Zu Geschichte, Kritik und Zukunft antideutscher Politik, Münster 2004

Tour de la Lutte des Classes. Marxistische Theorien über Klassen und ihre Kämpfe, in : iz3w, Nr. 282

Attac, Globalisierungskritik und „struktureller Antisemitismus“, in: grundrisse, Nr. 13/05

Last Exit USA? In der Irak-Debatte kommt es zu Fehleinschätzungen der US-Politik, in: iz3w, Nr. 266

Vom „Kommunismus der Sachen“ zur „Anti-Moderne“. Robert Kurz' unvollendete Aufhebungsbewegung, in: trend onlinezeitung, 01/04

Konjunktur(en) des Antisemitismus, in: www.unrast-verlag.de

Warum coole Kids doch manchmal Palitücher tragen. Zur Verteidigung eines Kleidungsstückes, in: trend onlinezeitung, 02/03

Die Geschichte ist keine Hühnerleiter, in: Jungle World, Nr. 45/02

 

(20. Juli 2005)



 

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