Die alte Konstellation
Redebeitrag anlässlich der Kundgebung "Fence Out Terror! - Teil 3" am 24.09.05 in Köln

Liebe Israel-Freunde,

sie sind heute hier zusammen gekommen, um angesichts einer Demonstration ganz besonders fieser Antizionisten Protest auszudrücken; Protest gegen einen offen antisemitischen Aufmarsch, dessen Organisatoren mit schöner Regelmäßigkeit verkünden, nur ein judenfreies Palästina stelle für sie die Endlösung des Nahostkonfliktes dar. Man kennt sie, diese Figuren. Bereits zum dritten Mal demonstrieren wir heute gegen jene Sorte Antiimperialisten, die sich in Köln mittlerweile sehr wohlig eingerichtet haben.

Die Frage, wie es hat kommen können, dass sich diese Judenhasser in Köln so wohl fühlen, wird dagegen nicht gestellt. Ist es nicht merkwürdig, dass sich trotz der antifaschistischen Proteste doch so recht kein öffentlicher Skandal einstellen mag, der etwa den Bürgermeister oder den Polizei-präsidenten zum Einschreiten zwingen würde? Die vorschnelle Antwort, es müsse sich bei Herrn Schramma eben auch um einen Antisemiten handeln, muss nicht falsch sein, aber Indizien für ihre Richtigkeit gibt es auch nicht. Wäre es nicht viel eher denkbar, dass sich die Öffentlichkeit deshalb so wenig für die antizionistische Demonstration interessiert, weil diese für sie überhaupt nichts Überraschendes ist? Wenn eine Regierung sieben Jahre lang die Geschäfte der Bundesrepublik geführt hat, deren wichtigste Protagonisten genau jenem antiimperialistisch-pazifistischen Milieu entstammen und die lediglich in der Wolle gefärbte Antizionisten sind, dann verblüfft es keinen Bürger mehr, wenn die militante Vorhut dieser Regierung auf die Strasse geht.

Angesichts des zu vermutenden Ausscheidens der Grünen aus der Regierung sollte man sich jedoch nicht der Hoffnung hingeben, unter einer CDU-Kanzlerin oder eines CDU-Kanzlers werde den selbsternannten Linken endlich wieder ein scharfer Wind von Rechts entgegen wehen, sozusagen die volle Breitseite der politischen Westbindung. Diese Illusion ist unabwendbar dadurch zerstört, dass auch eine Angela Merkel und ein Christian Wulff sich der Erkenntnis nicht entziehen konnten, dass Deutschlands Zukunft ausschließlich „links“ liegt: Außenpolitik, Innenpolitik, Wirtschaftspolitik, Umweltpolitik – alles wird in Deutschland heute mit einem antifaschistischen, ökologischen oder sozialen Selbstverständnis begründet und auch die politische Rechte in Deutschland hat bei der letzten Wahl die Erfahrung machen müssen, dass sie zu wenig auf diese linke Karte gesetzt hat.

Also wird es auch in Zukunft die alte Konstellation geben, lediglich mit neuen Personen, von denen einem schon der alte Marx gelehrt hat, sie seien ohnehin bloße Charaktermasken: auf der einen Seite eine Minderheit von Nazis, die sich als des Volkes Stimme versteht und diesen Volkszorn in alt bewährter und neu verwehrter Methode artikuliert, auf der anderen Seite eine etwa gleich große Anzahl von vermeintlich „Linksradikalen“, die sich ebenfalls als des Volkes Stimme verstehen und von der Regierung eine Radikalisierung ihrer Politik fordern. Zu guter Letzt ist da noch die Regie-rung, die mal mehr, mal weniger die Ansichten der Mehrheit vertritt und sich redliche Mühe gibt, eine antiamerikanische, antizionistische, national-soziale Politik zu machen und gleichzeitig den Anforderungen des Weltmarktes zu entsprechen bzw. diese spezifisch deutsche Form des sozialen Friedens für die Konkurrenz nutzbar zu machen. Mit den Worten Münteferings: „Es ist die Aufgabe unserer Regierung, den Kapitalismus zu zähmen.“

Den Kapitalismus zähmen, das wollen auch die heute in Köln demonstrierenden Antizionisten, die den Kapitalismus in pathischer Projektion mit den Juden identifizieren und deshalb zum direkten Kampf gegen den halluzinierten Feind blasen. Ihre Kampagne „10 Euro für den irakischen Wider-stand“ unterscheidet sich nur in der Form vom Anti-Amerikanismus einer Heidemarie Wieczorek-Zeul, die ebenfalls ständig den Kapitalismus mit den USA identifizieren muss: der Inhalt ist iden-tisch – „Deutsche und andere unterdrückte Völker der Erde, wehrt euch gegen die Juden, die in eu-ren Gemeinschaften Zwietracht, Konkurrenz und Egoismus sähen, die eure angestammte und in der Natur verwurzelte Kultur mit entarteter Kunst und Warenglamour vergiften wollen, die die Harmo-nie der Familie durch individualistische Verlockungen zerstören wollen.“ So in etwa sieht die Wahnwelt eines Deutschen aus, sei er nun links, rechts oder schwarz-rot-goldene Mitte. Und damit wird klar, dass unsere heutige Kundgebung sich nicht nur gegen diese wahnwitzigen Antizionisten richten darf, sondern gegen Verhältnisse, die einen deutschen Sozialcharakter hervorbringen, der mit aller Brutalität die Gesellschaft der freien, miteinander assoziierten Individuen verhindert. Ein Sozialcharakter, der noch hinter das Niveau der bürgerlichen Revolution zurückfällt, mit der die Kommunisten noch den Anspruch teilten, die Gesellschaftsform daran zu messen, inwieweit sie individuelles Glück für alle ermögliche.

In diesem Sinne schließe ich heute mit den Parolen:

Nie wieder Völker – es lebe das Individuum!
Gegen Antisemitismus – Solidarität mit Israel!

(24. September 2005)

 

top | home