In Lizas Welt
Über falsche Bündnispolitik und absurde Vorwürfe gegen die Redaktion Bahamas

I.
Der Kritiker unterscheidet sich dadurch vom Theoretiker, dass er die Sucht nach Reinheit ablehnt. Während der Theoretiker seine auswendig gelernten Lehrsätze und Ableitungen runterspult und sich dabei nicht von etwaigen Einbrüchen der Wirklichkeit tangieren lässt, ist der Kritiker stets darauf bedacht, die Verhältnisse ins Wanken zu bringen. Deshalb hält sich der Theoretiker von Bündnissen fern, weil sie die Reinheit seines Theoriegebäudes beflecken würden, der Kritiker dagegen untersucht in jedem einzelnen Fall, ob ein Bündnis geeignet ist, die Kritik voranzubringen. Ob ein Bündnis für diesen Zweck taugt, hängt daher nicht davon ab, wer der Bündnispartner ist: was einzig zählt, sind die Inhalte. Ist gewährleistet, dass die eigene Kritik offen artikuliert werden kann und nicht von den Bündnispartnern unterdrückt wird, so ist gegen ein solches nichts einzuwenden. Ist dem nicht so, dann sollte der Kritiker überlegen, welche anderen Wege geeignet sein könnten, zu sagen, was zu sagen ist. Er könnte beispielsweise ein Flugblatt schreiben und es auf einer entsprechenden Kundgebung verteilen oder er könnte eine Veranstaltung organisieren, in der die Kritik vorgetragen wird und in der zusätzlich noch thematisiert werden kann, warum ein Bündnis in diesem Fall nicht möglich war. Genau das hat die Bahamas getan als sie ankündigte, nicht zur Anti-Ahmadinedschad-Demonstration in Berlin aufzurufen.

All jene, denen es weder um Kritik noch um Theorie, sondern einzig um ein diffuses Gemeinschaftsgefühl geht, fühlen sich weniger von den Theoretikern, denen sie ihren Elfenbeinturm gerne überlassen, solange sie nur ihre akademische Karriere vorantreiben und ihnen nicht auf die Nerven gehen, als vielmehr von den Kritikern gestört, die ihnen ständig jede Harmonie madig machen. Einer, der Blogger Lizas Welt (1), der sich bislang nicht durch die Eigenschaft auszeichnete, Kritik als Zersetzung zu betrachten, sondern selbst in unzähligen Artikeln besonders eine radikale Kritik des Antisemitismus betrieb, fühlt sich offenbar auch dann noch wohl bei dem Projekt Volksfront gegen Ahmadinedschad, wenn der Aufruf zu diesem sich dadurch auszeichnet, jegliche Kritik am Antisemitismus, am Mullah-Regime sowie am europäischen Appeasement zu unterlassen und stattdessen auf eine für den „kleinen Mann“ attraktive Personalisierung zu setzen. Weil es so selten Demos für Israel gebe, müsse man sich als mit Israel Solidarischer kritisch beteiligen. Dass Israel im besagten Aufruf nicht einmal erwähnt wurde, findet Lizas Welt zwar kritikwürdig, aber nicht maßgeblich.

II.
Der linke Scharia-Experte Lysis ist derweil ohnehin erzürnt: Verschiedene Akteure der Israelsolidarität, von denen Lysis schon immer wusste, dass es sich bei ihnen um fiese antiislamische Rassisten handelt, erdreisteten es sich, „öffentlich über die gewählten Vertreter des Zentralrats der Juden herzuziehen“, weil diese nicht bereit waren, Klartext bezüglich der Bedrohung Israels durch den Iran zu sprechen. Die Kritik am Zentralrat sei eine „freche Anmaßung“, ebenso wie Lysis es für eine Anmaßung hält, die kulturellen Eigenheiten der Moslems zu denunzieren. Gegenüber legitimen Vertretern einer kulturellen Gemeinschaft ist nämlich im antirassistischen Weltbild schlicht „Respekt“ zu bekunden und das, was diese Vertreter sagen, nicht so genau zu nehmen. Doch, so Lysis, „es gibt Gruppen, die das Rad längst schon einen Zacken weiter gedreht haben, wie die aufgrund ihres notorischen Rassismus gegenüber Arabern und Muslimen berüchtigte ‚Redaktion Bahamas’. Deren neueste Ausfälle gegen die jüdischen Gemeinden in Deutschland, denen man vorwirft, an Demos lediglich zur Stärkung ihres ‚Gemeinschaftsgefühls’ teilzunehmen, auf gut deutsch also: sich als geschlossene Gruppe zu konstituieren und sich von Nichtjuden abzusondern, beschreibt selbst Lizas Welt nur noch als ‚antisemitisch’. Und da hat sie mal ausnahmsweise recht!“ (2)

Dass der oben bereits erwähnte Blogger Lizas Welt sich durch das Lob von Lysis geschmeichelt fühlt, darf bezweifelt werden. Doch Lysis hat sich das Geschriebene keineswegs einfach ausgedacht, noch hat er es aus einer Analyse des inkriminierten Bahamas-Textes (3) gezogen: Nein, er konnte es ganz einfach bei Lizas Welt abschreiben (4), wo es heißt:

„Es ist eine klassische antisemitische Projektion zu behaupten, der Jude sei individualistisch statt kollektivistisch, setze auf sich allein und nicht auf die Gemeinschaft.“ – Soweit ist das richtig, jedoch nur der Versuch, die folgenden Ausführungen in die Nähe von Plausibilität zu rücken. – „Wenn Juden aber nun vorgehalten wird, sie würden ein ‚Gemeinschaftsgefühl’ erhoffen, so wird ihnen explizit zum Vorwurf gemacht, dass sie nicht der wahnhaften Projektion des gemeinen Antisemiten Folge leisten wollten.“ – Nachdem hier ohne jegliche Herleitung die Gleichung Vorhalten der Hoffnung auf Gemeinschaftsgefühl = Vorwurf, nicht der Projektion des gemeinen Antisemiten Folge leisten zu wollen erfunden wurde, folgt sogleich der Zweck des heiligen Mittels, denn: „Damit denunziert sich die Rage der Bahamas im Kern selbst als antisemitisch.“

Es sei darauf hingewiesen, dass die Behauptung der Redaktion Bahamas, die an der Demonstration beteiligten jüdischen Gruppen hätten sich „wohl in der Hoffnung, ihrerseits ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben“ dem Aufruf angeschlossen, „explizit“ lediglich eine Vermutung ist, dementsprechend nicht bewiesen wird und partiell, ganz oder gar nicht zutreffen mag; das können wir so wenig wie die Bahamas oder Lizas Welt zweifelsfrei herausfinden. Was wir allerdings feststellen können, ist, dass der Vorwurf einer Sehnsucht nach Gemeinschaft keineswegs antisemitisch ist. Im Gegenteil: Auch Lizas Welt dürfte wissen, dass hinter dem antisemitischen Stereotyp, die Juden seien zur Gemeinschaft unfähig, ein Gemeinschaftskult der Antisemiten steckt, dem die Vorstellung eines individualistischen Schädlings und Zersetzers innewohnt. Wie Lizas Welt jedoch selber zitiert, wirft die Bahamas den beteiligten jüdischen Gemeinden gar nicht vor, sich wie Individualisten zu verhalten. Aber was nicht passt, wird passend gemacht: Nun soll nicht mehr nur der Vorwurf des Individualismus antisemitisch sein, sondern auch der positive Bezug auf den Individualismus und die Kritik des Kollektivismus. (5) Es handelt sich hier also um einen Antiindividualismus, der als Kritik des Antisemitismus daherkommt. Noch mal, Lizas Argumentation geht so: Wenn Nazis behaupten, die Juden seien zur Gemeinschaft unfähige Individuen, dann darf man von Juden nicht fordern, sich als Individuen zu verhalten, weil sie sonst das Bild der Antisemiten bestätigen würden. Das ist die zynische Logik von Lizas Welt.

Nach dem „Kern“ der „Rage“ (die Klassifizierung jeglicher die Harmonie des gemeinschaftlichen Politikmachens störenden Kritik als „Rage“ ist eine Methode, die Demagogen jeglicher Couleur stets treue Dienste leistet) der Bahamas widmet Lizas Welt sich alsdann der äußeren Schicht derselben, der Rhetorik, die – wer hätte es gedacht – auch antisemitisch sei: Die Redaktion Bahamas habe den Begriff „organisiertes Judentum“ benutzt, der „längst zum Code rechts- wie linksradikaler Antisemiten geworden“ sei. Nicht nur Israel Shamir und Norman Finkelstein bedienten sich dieses Begriffs, sondern schon der Stürmer habe die Parole „Judentum ist organisiertes Verbrechen!“ ausgegeben. Nun ist es, das weiß jedes Kind, etwas völlig anderes, das Judentum als organisiertes Verbrechen oder die Gesamtheit jüdischer Organisationen als organisiertes Judentum zu bezeichnen. Bleiben noch Finkelstein und Shamir. Es ist vollkommen richtig, dass der Begriff „organisiertes Judentum“ „im antisemitischen Milieu“ als Kampfbegriff gebraucht wird und eine Verschwörung der Juden meint. Was Lizas Welt geflissentlich verschweigt, ist die Tatsache, dass dieser Begriff auch außerhalb des „antisemitischen Milieus“, dort nämlich zur Bezeichnung des organisierten Teils des Judentums, verwendet wird, wie es eben auch im Nicht-Aufruf der Bahamas der Fall ist, in dem eine konkrete politische Entscheidung eines „repräsentativen Ausschnitts des organisierten Judentums in Deutschland“ kritisiert wird. (6) Doch auch hier lässt Lizas Welt sich von der Wirklichkeit nicht weiter aufhalten und behauptet wenige Zeilen weiter unten, die Redaktion Bahamas habe den „‚gefährlichsten Politiker[n] unserer Zeit’ [gemeint sind die europäischen Kollaborateure des Umma-Sozialismus] (...) beinahe unterschiedslos das ‚organisierte Judentum’“ zugeschlagen. Diese Unterstellung ist so absurd, dass sogar der Versuch fehlt, sie zu belegen. Stattdessen folgt gleich der nächste Tadel: Ahmadinedschad sei von der Bahamas nicht zu den „gefährlichsten Politikern unserer Zeit“ gezählt worden, wo doch die Kritik der Bahamas gerade darin besteht, darauf zu insistieren, dass der iranische Nazi den Fortbestand seiner politischen Existenz zu großen Teilen seinen europäischen Unterstützern verdankt.

Einer, der immer schnell „Skandal!“ ruft, wenn sich die Gelegenheit bietet, sich wichtig zu machen, Dr. phil. Clemens Heni (7), war noch schneller als Lizas Welt. Schon am 22. Januar, also schon zwei Tage vor dieser, schrieb er den gleichen Quatsch auf und veröffentlichte das Resultat seiner Denkanstrengungen ebenfalls am 24. Januar auf Heinz Gess’ Kritiknetz (8): Die Bahamas mache sich „über das ‚organisierte Judentum’ lustig“, krakeelte er auftrumpfend gleich in der Überschrift. Nach der Empörung kommt die Anklage: „Wer gegen das ‚organisierte Judentum’“ agitiere und „Juden ein ‚Gemeinschaftsbedürfnis’“ unterstelle, „wenn sie gemeinsam gegen Judenhass auf die Straße“ gingen, leiste „dem Antisemitismus Vorschub“. Immerhin, den Schritt vom „Vorschub leisten“ zu „im Kern antisemitisch“ überließ Heni Lizas Welt und Hector Calvelli.

Es geht nicht darum, dass irgendwer von irgendetwas abschwören soll. Wir beanspruchen ganz einfach, gezeigt zu haben, dass die Vorwürfe substanzlos sind und daher spräche es für eine Fähigkeit zur Selbstkritik von Lizas Welt, wenn sie sie zurücknähme. Zunächst aber geht es darum, unhaltbare Vorwürfe als solche zu kennzeichnen und sich auf die Seite der Beschuldigten zu stellen. Statt autoritärer und unsinniger Ächtungsforderungen sollte die inhaltliche Kritik und damit die Vernunft Oberhand behalten. Und das heißt in diesem Fall: Die Vorwürfe von Lizas Welt sind strikt zurückzuweisen.

Köln, den 03.02.2007 


Anmerkungen:

(1) http://lizaswelt.blogspot.com/

(2) http://lysis.blogsport.de/2007/01/24/philosemiten-laufen-amok-gegen-die-deutschen-juden/

(3) http://www.redaktion-bahamas.org/aktuell/Nicht-Aufruf27-1-07.htm

(4) http://lizaswelt.blogspot.com/2007/01/massen-gegen-demo.html. Der Text wurde gemeinsam mit Hector Calvelli verfasst, der also im Folgenden gleichermaßen gemeint ist.

(5) Dass Juden nicht nur in Deutschland sich in einer anderen Situation befinden als Nichtjuden, insofern sie vom Antisemitismus bedroht sind, soll damit selbstredend nicht in Abrede gestellt werden. Daher ist das Bedürfnis, als Bedrohter nicht so allein zu sein, allemal verständlich.

(6) Hier ist übrigens zu kritisieren, dass die Redaktion Bahamas es versäumt, zu erläutern, warum ein Ausschnitt von 20 Gemeinden bei 102 Gemeinden, die allein im Zentralrat der Juden organisiert sind, repräsentativ sei. Darauf wies Lizas Welt kürzlich in einem Mailwechsel mit uns hin.

(7) So erklärte Heni bereits Wolfgang Pohrt nach dessen Auftritt im Berliner Tempodrom am 3. Oktober 2003 für tot, weil er offensichtlich nicht das gesagt hatte, was Heni sich von ihm erhofft hatte. Pohrt sei „an seinem eigenen Wort-Müll erstickt“ und ein „ganz normaler deutscher Antisemit“. http://www.copyriot.com/sinistra/discus/messages/211/81.html. Dies ist genau die gleiche Ebene des Aufspürens von vermeintlichen Skandalen, auf der er jetzt gegen die Bahamas hetzt. Mehr darüber ist im Artikel Vatermord am Guru von Uli Krug in der Bahamas Nr. 43 zu lesen.

(8) http://www.kritiknetz.de/Eine%20gewiss%20nicht%20organisierte%20Kuschelecke%20im%20
Max%20&%20Moritz%20(1).pdf
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