Gute Nacht, Anti-G8!
Warum Globalisierungskritik immer reaktionär ist

„Was vernünftig ist, soll wirklich werden!“
Heinrich Heine

Vom 6. bis 8. Juni ist es wieder soweit. Weil sich die Regierungschefs der G8-Staaten in Heiligendamm treffen, um sich gegenseitig Zugeständnisse abzuringen und die eigene Stärke zu präsentieren, geben sich auch die Globalisierungskritiker ein Stelldichein. Aus allen Teilen der Welt werden Menschen, die ein wie auch immer diffuses Unbehagen gegen „Globalisierung“ und „Neoliberalismus“ verspüren und sich eine solche Reise leisten können, nach Mecklenburg-Vorpommern fahren, um ein wenig Rabatz zu machen.

Oft ist an der Antiglobalisierungsbewegung kritisiert worden, ihre Kapitalismuskritik sei „verkürzt“ und sie betreibe anstatt eines authentischen Antiimperialismus platten Antiamerikanismus. Dass diese beanstandeten Ideologeme gar keine zu korrigierenden Fehler sind, sondern das Wesen der Globalisierungskritik ausmachen, übersieht die marginalisierte Restlinke, weil sie sich das Mitmachen nicht vermiesen lassen will. Stattdessen klammert sie sich an jede noch so reaktionäre Massenbewegung und ignoriert, dass diese bestrebt ist, noch den letzten verbliebenen zivilisatorischen Überhang, der einst durch die Bewegung des Kapitals als mehr zufälliges Nebenprodukt hervorgebracht wurde, zu kassieren, anstatt über eine kommunistische Aufhebungsperspektive zu verfügen.

Spätestens seit der „antikapitalistischen Revolte“ (Postone) der Nazis sollte bekannt sein, dass nicht alles, was sich antikapitalistisch nennt, automatisch emanzipatorisch ist. Im Gegenteil: Der Antikapitalismus als bewusstloser Reflex der in die Krise gestoßenen Warensubjekte ist noch barbarischer als der Kapitalismus selbst, weil dessen Ideologen immerhin noch den wie auch immer unrealisierten Anspruch formulieren, die individuelle Freiheit aller verwirklichen zu wollen. Die Globalisierungskritik hat nicht den Kapitalismus als ein gesellschaftliches Herrschaftsverhältnis im Visier, sondern – wie es beispielsweise auf der Homepage des Kölner Antifa-Cafés heißt – die „selbsternannten Weltherrscher“. Dass Merkel, Putin und Bush keine „selbsternannten“ Herrscher sind, sondern demokratisch legitimierte, und dass sie auch keine „Weltherrscher“ sind, sondern Charaktermasken ihres jeweiligen Nationalstaates, wird ignoriert, weil diese Erkenntnis eine Kritik an demokratisch vermittelter Herrschaft erfordern würde. Die Linken müssten etwa der Frage nachgehen, warum die Subjekte sich wie die berüchtigten „dümmsten Kälber“ verhalten, die ihre „Metzger selber“ wählen. Sie müssten den Staat als politische Form des Kapitals denunzieren, als ein gesellschaftliches Verhältnis also, das sich den Individuen als fremdes gegenüberstellt und diese zugleich restlos subsumiert. Doch all diese Fragen interessieren die Globalisierungskritiker, linke wie rechte, nicht, weil es ihnen gar nicht um eine vernünftige Einrichtung der Gesellschaft zu tun ist, sondern um die Auslebung eines blindwütigen Affekts gegen die vermeintlichen Verursacher des Elends in der Welt. Weil man selbst zum Genuss nicht mehr fähig ist, hasst man die „Bonzen“ für ihren Luxus, anstatt diesen für alle Menschen einzufordern. Und weil man sich selbst so ohnmächtig fühlt, projiziert man seine eigene Sehnsucht nach Macht und Einfluss auf die „Weltherrscher“, denen entgegen dem eigenen elenden Dasein Omnipotenz unterstellt wird. Nicht Ausbeutung und Herrschaft wird kritisiert, sondern nur, dass es anderen besser geht als einem selbst. Das Motiv der No Globals ist nicht der Wunsch nach dem Glück für alle, sondern die Abschaffung aller angenehmen und fortschrittlichen Aspekte des Kapitalismus. So steht bei ihnen ausgerechnet die Kritik an der Globalisierung im Mittelpunkt, weil sie eine barbarische Rückkehr zu einer vermeintlich ursprünglichen Gesellschaftsform anstreben: Die Welt soll wieder überschaubarer werden, bestimmt durch naturwüchsige Sippen- und Stammesverbände (in den hiesigen Gefilden euphemistisch auch mal „Veedel“ genannt), die harmonisch im Einklang mit der Natur leben.

Wer wundert sich daher darüber, dass auch die Neonazis zu Protesten gegen den G8-Gipfel aufrufen? Sie lieben die „völkische und rassische Artenvielfalt“ ebenso sehr wie diejenigen Globalisierungskritiker, die 2002 auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre folgenden Satz in ihr „Abschlussdokument“ schrieben: „Wasser, Erde, Nahrung, Wald, Saatgut, Kultur und die Identität der Völker sind das Erbe der gesamten Menschheit, der augenblicklichen und zukünftigen Generationen. In dieser Hinsicht ist eine der wichtigen Aufgaben der Schutz der Artenvielfalt.“ Und Nazis, nennen sie sich nun links oder rechts, beklagen am Kapitalismus vor allem die Kapitalisten, die „internationale Wucherei“ (ebd.) betrieben. Der Jude, ob offen als solcher benannt oder durch die politisch korrektere Bezeichnung einer anderen Personengruppe („Neoliberalisten“, „Unilateralisten“, „Bankiers“, „Manager“, „Heuschrecken“ etc.) ersetzt, ist den Globalisierungskritikern der Feind. An ihm können sie ihren reaktionären Antikapitalismus ausagieren, der individuelle Freiheit durch völkische Zwangskollektivität begrenzen, den Kosmopolitismus und die Landflucht durch die Verbundenheit mit der heimatlichen Scholle eindämmen und das Streben nach Glück und Zufriedenheit durch ein Almosenprogramm nach dem Motto „Elend für alle!“ ersetzen möchte.

Wo könnte dies besser deutlich werden als daran, dass die Globalisierungskritiker sich im „Nahostkonflikt“ unmissverständlich auf die Seite der islamischen Faschisten von Hamas, Hizbollah und Co. stellen und Israel, dem einzigen Land im Nahen Osten, in dem verhältnismäßig erträgliche Zustände herrschen, den Garaus machen wollen. Anstatt das iranische Mullah-Regime und seinen offenen Krieg gegen Israel und die USA, aber auch gegen iranische Oppositionelle, Frauen, Homosexuelle und Ungläubige zu kritisieren, fordern die No Globals genau das, was der Barbarei einen noch größeren Zugriff auf das ohnehin schon brutal zugerichtete Individuum gestatten würde: „Truppen raus aus Afghanistan und Irak!“ Auch wenn diese Forderung sich in den nächsten Jahren tatsächlich erfüllen dürfte, so ist den Irakern und den Afghanen bis dahin vor allem zu wünschen, dass der amerikanische Kampf gegen die Jihadisten so erfolgreich verläuft, dass nach ihrem Abzug eine halbwegs liberale Gesellschaft existieren kann.

Die Globalisierungskritiker interessiert das Wohl der Individuen aber einen feuchten Kehricht. Sie wollen eine Gesellschaftsordnung, in der jede Hoffnung auf Glück zerschlagen ist und die universale, aber sauber in Völker und Kulturen unterteilte Barbarei frei walten kann. Wer dagegen Einspruch erhebt, der einzig kann sich heute noch Kommunist nennen.

Köln, 6. Mai 2007


Druckversion

 

top | home