Das Schlimmste aufhalten
Einleitung zur Veranstaltung „Der Staat des Grundgesetzes“ mit Joachim Bruhn am 19. Juni 2008

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie recht herzlich im Namen der Georg-Weerth-Gesellschaft Köln zur heutigen Veranstaltung „Der Staat des Grundgesetzes“ mit Joachim Bruhn von der Freiburger Initiative Sozialistisches Forum. Bevor ich an Joachim Bruhn übergebe, möchte ich gerne noch einige einleitende Worte aus gegebenem Anlass sagen.

Zwar sollte es sich für Kommunisten von selbst verstehen, den Staat zu kritisieren und seine Abschaffung zu fordern, denn die Abschaffung des Staates liegt ja schon im Begriff des „Kommunismus“ begründet. Doch muss die angesprochene Evidenz – also das Sich-von-selbst-verstehen – ständig neu konkretisiert und auf die Höhe der Zeit gebracht werden, um nicht als Phrase zu erstarren. Der Satz: Jeder Staat ist ein Herrschaftsverhältnis und muss deshalb abgeschafft werden, ist zwar immer und überall richtig und vernünftig. Wird aber der Zusammenhang des Ganzen ausgeblendet, schlägt er mitunter in sein Gegenteil um, weil er drohende unmittelbare Gewaltverhältnisse verschweigt, die vielleicht gegenüber dem status quo das Schlimmere wären. Insbesondere in Bezug auf Israel lässt sich das nachvollziehen: Wer „Nieder mit dem zionistischen Staat!“ schreit, ist kein Staatskritiker, sondern ein Nazi. Denn die materialistische Kritik will nicht die Juden ihren Feinden ausliefern, sondern die Notwendigkeit eines jüdischen Staates aus der Welt schaffen. Dass Israel existieren muss, ist ein Skandal, der bereits, wenn auch nicht alles, so doch allerhand über die herrschende Gesellschaft aussagt.

Wenn es einen Erfolg der so genannten „Antideutschen“ gibt, zu denen wir regelmäßig gezählt werden, dann ist es die Tatsache, dass die deutschen Linken in der Mehrheit ihren Antizionismus für sich behalten. Daraus folgt aber bei den Linken nicht eine Staatskritik, die sich der Gefahr negativer Aufhebung bewusst wäre, sondern nur eine Tabuisierung des Themas Israel. Die einen sind quasi über Nacht zu Israels besten Freunden geworden und feiern allen Ernstes seinen Geburtstag – und finden überhaupt nichts Zynisches daran, weil sie die Welt für gut halten. Die anderen schweigen sich einfach über die drohende Vernichtung Israels durch die formierte islamische Massenbewegung mit dem Iran an der Spitze aus und schwingen vermeintlich radikale Parolen. Ein besonders schönes Beispiel für eine solche verbalradikale Phrasendrescherei findet sich in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Phase 2. Dort stellen sich Vertreter des so genannten „Ums Ganze“-Bündnisses den Fragen der Redaktion. Ein Stefan von der Göttinger Gruppe „Gegenstrom“ etwa erklärt, es gehe dem Bündnis um „Positionen, deren Schwerpunkt nicht allein das Herumdoktern an den Symptomen des Kapitalismus, sondern die Frage nach dessen grundsätzlicher Überwindung ist“. Eine Mandy von der Autonomen Antifa aus Frankfurt will nicht nur „Probleme der bürgerlichen Gesellschaft aufgreifen, theoretisieren und ihnen mit Praxis begegnen, um eine kommunistische Perspektive aufzeigen zu können“, sondern vor allem „die Hegemonie innerhalb der linken und linksradikalen Bewegung nach links“ verschieben. Friederike aus Hannover schließt sich ihrer Vorrednerin an und meint: „Es geht also auch in Zukunft um den Versuch, kommunistische Kritik praktisch werden zu lassen und nicht darum, es sich mit kritischen Positionen als Selbstzweck bequem zu machen. Anstelle des Verharrens in identitären Grabenkämpfen“ vertrete das Bündnis, so die niedersächsische Vorkämpferin der klassenlosen Gesellschaft, „die Kritik der politischen Ökonomie“. Und Fabian von „redical M“, wiederum aus Göttingen, pflichtet zu guter Letzt bei, es gehe darum, „den Rahmen, in dem Politik stattfindet […], zu überwinden.“ Große Einigkeit also. Das Problem besteht darin, dass die Pappnasen vom „Ums Ganze“-Bündnis auf vier Heftseiten keine einzige kritische Aussage tätigen. Vollmundig wird immer wieder angekündigt, ganz schrecklich radikal zu sein, nur um am Ende absolut nichts gesagt zu haben. Auf diese Weise gehen sie der Gefahr, Politik zu machen, tatsächlich aus dem Weg – nur machen sie nichts anderes als Werbung für sich selbst. Die genannten Antifas stören mit ihrem Gequatsche niemanden und zielen damit vollständig am viel zitierten „Ganzen“ vorbei. Sie machen klassische Bewegungspolitik, die per definitionem nichts anderes will als eine große Bewegung zu gründen. Das schlägt sich sprachlich nieder, wenn die verehrte Friederike ein unfreiwillig zutreffendes Bild bemüht: „Um in einen Sturm zu geraten“, erläutert sie, „braucht man überhaupt erstmal ein Schiff“. Das Bündnis will also nicht selbst der Sturm sein, der das Kapitalverhältnis wegpustet, sondern ein Schiff bauen, also eine Bewegung gründen, die dann vereint in den Stürmen der kapitalistischen Krise untergehen kann. Der kollektive Untergang als Vision – so könnte auch der Werbespruch für ein Verständigungsseminar über die Hisbollah von der Bundeszentrale für politische Bildung lauten.

Wo die einen scheinradikal daher salbadern und dabei reformistischer bleiben als Papst und Bundespräsident zusammen, da verzichten andere ganz bewusst auf jede Radikalität und bekennen sich – in der Stunde der Not, wie es heißt – zum Politikmachen. Weil Israel existentiell bedroht ist, müsse man das mit dem Kommunismus aussetzen und sich mit aller Kraft dem Erhalt des jüdischen Staates widmen. Eine Irrenlogik. Die Entgegensetzung von Kommunismus und Israel findet ihren Ausdruck in zahlreichen Konferenzen, auf denen über alles, nur nicht über die Kritik der politischen Ökonomie geredet wird – eine Kritik, die immer schon in einem Ökonomie-, Staats- und Ideologiekritik ist. Man wirft sie über Bord, um sich das eigene Geschäft – die „Vermittlung“ proisraelischer Positionen – nicht madig machen zu lassen. Jeder von dieser eingebildeten Israel-Lobby weiß, dass eine durchgeführte Kritik Deutschlands die Unmöglichkeit des eigenen Unterfangens erweist. Weil sie nicht wahrhaben wollen, dass Deutschland aus ideologischen Gründen keine harten und konsequenten Sanktionen und erst recht keinen Krieg gegen die Mullahs unterstützen wird, bleibt nur noch die Moral, die als Zünglein an der Wage dienen soll. Doch die aktuelle deutsche Ideologie stellt selbst auf Moral ab. Wegen Auschwitz wird Deutschland – so absurd das auch klingen mag – Israel nicht unterstützen. Das wissen zwar auch die Pseudolobbyisten, aber sie verdrängen es, um sich ihre gut gemeinten Forderungen an den deutschen Staat nicht vermiesen zu lassen. Sie fordern von Deutschland, dass es gegen seine eigene ideologische Grundlage, gegen die Legitimation seiner souveränen Gewalt verstoße. Wenn proisraelische Blogger die Rede Angela Merkels vor der Knesset nur dafür kritisieren, dass aus ihr keine Taten folgten, ahnt man, dass da sogar etwas ganz und gar grundsätzliches verdrängt wird. Denn Merkel argumentierte mit einer Staatsräson, von der man doch weiß, dass sie eine Gesellschaft verewigen soll, die den Antisemitismus aus sich selbst heraus produziert und damit Teil des Problems, nicht Teil der Lösung ist. Dass ausgerechnet Deutschland auf einmal der treueste Kompagnon im Kampf gegen den Antisemitismus sein soll, ist gerade deshalb so bizarr, weil genau jene Blogger, die Merkels Rede so lobten, doch beinahe tagtäglich mit ihren Enthüllungen das Gegenteil beweisen.

Die Staatsräson, mit der Merkel schon von Berufs wegen argumentierte und zu der auch Gregor Gysi sich emphatisch bekannt hat, wird – soviel kann man schon jetzt wissen – nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen die antideutsche Linke zurückschlagen, sobald sich eine Gelegenheit bietet. Denn für Israel sein bedeutet im Sinne dieser Staatsräson, das Betriebsgeheimnis der postnazistischen Demokratie für sich zu behalten und es bloß nicht auszuplaudern. Wer es dennoch tut und etwa in polemischer Überspitzung derbe Witze über den Propheten Mohammed reißt, der als kollektives Über-Ich und illusionärer Führer der islamischen Welt gewissermaßen ein Kollege der Damen und Herren Merkel, Steinmeier und Erler ist, darf mit Strafverfolgung rechnen. Der Verfassungsschutz, der darüber wacht, dass alles mit rechten Dingen zugeht, hat uns kürzlich wieder mit der scharfsinnigen Formulierung bedacht, wir seien „Linksextremisten“, die völlig unzutreffend eine „Zusammenarbeit von staatlichen Organen und radikalen Moslems“ konstatierten. Dass dies nicht nur für Schäubles „Islamkonferenz“ zutrifft, sondern auch für die staatliche Vollstreckung islamischer Ehrforderungen, mussten wir feststellen, als der Staat uns wegen der Beleidigung religiöser Gefühle anklagte. Weil es aber der Staat ist, der Recht setzt und daher auch sagt, was man nicht veröffentlichen darf, hat der Webmaster unserer Gruppe nun eine Geldstrafe in Höhe von 1000 Euro erhalten (inklusive Anwaltskosten) – angesichts derer wir, nebenbei bemerkt, um Spenden bitten.

So penibel die Aktivisten der Anti-Iran-Koalition nachweisen, auf welch vielfältige Weise Deutschland den Iran hofiert, ja, sponsert, so wenig ziehen sie daraus die notwendigen Schlüsse. Schlüsse etwa wie den, dass es nicht darum gehen kann, von Deutschland proisraelische Politik zu fordern, sondern dass es darum gehen muss, den Antisemiten so viele Steine in den Weg zu legen wie möglich. „Stop the Bomb“ und das „Mideast Freedom Forum“ sind aus verschiedenen Gründen keine Lobbys, sondern nur die illusorische Form derselben. Die verzweifelnde Ohnmacht besteht darin, dass wir – und damit meine ich ganz identitär die proisraelischen Kommunisten – das Schlimmste, die Wiederholung von Auschwitz, nicht unmittelbar abwenden können. Ganz einfach. Wir können es nicht. Das bedeutet umgekehrt aber nicht, dass wir nichts tun können und uns einfach unserem Schicksal ergeben müssten. Wir können radikale Kritik üben und es den Israelhassern so schwer wie möglich machen. Das klingt höchst pessimistisch, aber ich vertrete die Ansicht, dass eine realistische Einschätzung immer besser ist als den eigenen Einfluss zu überschätzen. Und – das soll nicht vergessen werden – dass wir das Schlimmste nicht unmittelbar aufhalten können, heißt immer noch nicht, dass es siegt, denn es gibt ja tatsächlich noch die israelische und eventuell auch die amerikanische Luftwaffe, die es unmittelbar, d.h. militärisch, verhindern kann. Dass aber etwa ein israelischer Präventivschlag das Schlimmste zwar aufhalten, nicht jedoch seine gesellschaftlichen Voraussetzungen und Reproduktionsbedingungen abschaffen kann, zeigt nur wieder einmal, dass es doch die assoziierten Individuen sein müssen, die die Vorgeschichte selbst bewusst beenden und damit Angst und Schrecken die Existenzgrundlage entziehen. In diesem Sinne möchte ich nun an Joachim Bruhn abgeben, der sich in seinem Vortrag mit der postnazistischen Demokratie auseinandersetzen wird.


(19. Juni 2008)

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