Solidarität mit der unabhängigen Arbeiterbewegung in Venezuela!

Die unabhängige Arbeiterbewegung ist angesichts der weltweiten Sympathie der Linken mit dem chavistischen Regime isoliert und auf sich alleine gestellt. Innerhalb Venezuelas hat sie nicht nur gegen die reaktionäre alte Elite, die seit je versucht hat, Arbeitnehmerrechte einzuschränken und die Löhne zu drücken, sondern derzeit vor allem mit den Schergen des autoritären Staates unter Führung von Hugo Chávez zu kämpfen. Im Folgenden dokumentieren wir einen Text der anarchistischen Gruppe „El Libertario“ aus der #55 vom Januar/Februar 2009 ihrer gleichnamigen Zeitschrift. Wir fordern zur Solidarität mit der unabhängigen venezolanischen Arbeiterbewegung auf und sehen einen ersten Schritt darin, die größtenteils lesenswerten Schriften der anarchistischen Genossen zu verbreiten, die einen weitaus realitätsgerechteren Einblick in den venezolanischen Alltag unter Chávez bieten als das Gros der deutschen Venezuela-Experten.

Georg-Weerth-Gesellschaft Köln
3. April 2009



Venezuela: Gewerkschaftsarbeit zwischen unterwürfiger Bürokratie und angeheuerten Killern

"In der Revolution müssen Gewerkschaften verschwinden ... Gewerkschaften wurden alle mit demselben Gift der Autonomie geboren. Gewerkschaften können nicht unabhängig sein, damit sollten wir Schluss machen."

Rede von Hugo Chávez anlässlich der Einführung des PSUV-Gesetzes. Caracas, 24. März 2007.

Die feige Hinrichtung von drei Arbeiterführern im Staat Aragua, die am 27. November 2008 stattfand, verlangt, dass wir genauer auf die kriminellen Praktiken blicken, die in den letzten Jahren in den Resten der unterworfenen Gewerkschaftsbewegung zur Gewohnheit geworden sind. Wie auch in anderen Teilen der Welt ist es ein Zeichen der schwachen Militanz der Gewerkschaften, wenn sich Gangster-Praktiken ausbreiten, die zu einer verheerenden Routine werden und den Niedergang des Arbeitskampfes weiter beschleunigen.

Ein Teil der konkreten Beweise, wie weit es mit dieser rüden Pervertierung des Arbeitskampfes gekommen ist, findet sich – in seiner düsteren Ausprägung, wie der Ermordung von Arbeiteraktivisten – in den Berichten der Jahre 2007 und 2008 der Menschenrechtsorganisation PROVEA. Basierend auf einer Sammlung von Veröffentlichungen landesweiter Zeitungen geben diese Berichte recht glaubwürdig und faktengetreu wieder, was uns hier interessiert, und stellen eine alarmierende Rechnung auf: zwischen Oktober 2006 und September 2008 kam es in Venezuela zur Ermordung von 77 Gewerkschaftern.

Die Verbrechen richteten sich hauptsächlich gegen Gewerkschafter aus dem Baugewerbe- und Ölsektor und drehten sich um die Kontrolle der Jobvergabe durch Verträge, wobei ein hoher Prozentsatz (75% im Baugewerbe) in den Händen der Gewerkschaft liegt, so dass wer immer die Gewerkschaftsrichtlinien dominiert sich auch durch den Verkauf von Arbeitsverträgen an Arbeitssuchende eine ordentliche Scheibe abschneiden kann. Es sei angemerkt, dass in diesen Kämpfen mit oft tödlichem Ausgang noch nicht einmal politische Differenzen eine Rolle spielen, da sich beide Seiten gleich stark mit der herrschenden Regierung identifizieren.

Die Situation ist so ernst, dass der PROVEA-Report von 2007 Venezuela, nach Kolumbien, als das gefährlichste Land für jeden gewerkschaftlich Engagierten bezeichnet. Zusätzlich verschärfen Straffreiheit und komplizenhaftes Schweigen die schreckliche Situation. Ein dem PROVEA-Report angehängter Menschenrechts-Bericht des Vikars von Caracas besagt, dass von den letzten 52 Mordfällen an Gewerkschaftern nur drei strafrechtlich belangt wurden.

Von den Gewerkschaften, seien sie regierungskritisch wie die ausgemergelte Arbeiterkonföderation von Venezuela (CTV), regierungsnah wie die handlungsunfähige Nationale Arbeiter Union (UNT) oder die unterwürfige Sozialistische Bolivarische Arbeitermacht (FSBT), gab es keine einzige Kampagne, keine Rede oder empörte Beschwerde. Wenn die Sprecher und Anhänger des „Chavismo“ sich damit befassen, falls sie das überhaupt einmal tun, machen sie das allgegenwärtige „Empire“ in Zusammenarbeit mit lokalen Arbeitgebern dafür verantwortlich (diese Feststellung ist übrigens eine Ironie für sich, wenn man bedenkt, dass das Baugewerbe und der Ölsektor, die zwar nicht direkt für die Regierung, aber für jemanden arbeiten, der vom Staat angestellt ist). Dies ist die klassische Antwort der Regierung, wenn eine unangenehme Tatsache ignoriert werden soll. 2007 wurde eine Kommission höchster Priorität gegen Gewerkschaftsgewalt einberufen, von der wir nach einiger Zeit nichts mehr hörten.

Gangstermethoden breiten sich aus

Die Umstände der abscheulichen Morde an Richard Gallardo, Luis Hernandez und Carlos Requena stehen für eine Eskalation krimineller Entwicklungen innerhalb der Gewerkschaftsverbände. Verwandte und nahe Freunde aus den Arbeitskämpfen und der Community betonten von Anfang an, dass die Hauptverdächtigen für die Anordnung des Massakers unter den Gewerkschaftsbürokraten und unter den mit der herrschenden Partei verbundenen regionalen politischen Führern zu suchen seien (insbesondere beim Bürgermeister der Stadt Villa de Cura und seinem Bruder, dem Anführer der Chavista-Gilden). Diese Vermutung äußerte sich sogar in verschiedenen Medienberichten, da sie lautstark von vielen Menschen während der Proteste und Versammlungen in der Region in den Tagen nach den Morden verkündet wurde. Eine Wendung, die bei den Protestdemonstrationen mehrfach wiederholt wurde, war die von „angeheuerten Killern der Gewerkschaft“, was sich auf die Art bezog, wie sich korrupte Bürokraten der Aktivisten entledigten, die ihr schmutziges Geschäft behinderten. In diesem speziellen Fall handelte es sich bei den drei Toten um Militante einer trotzkistischen Gruppe, die in dieser Gegend Fuß fassen konnte (z.B. war Hernandez Generalsekretär der Pepsi-Cola-Gewerkschaft in Villa de Cura, wo er 3.816 Stimmen als Bürgermeisterkandidat erhielt).

Diese Gruppe – deren national bekanntestes Mitglied der Gewerkschaftsführer Orlando Chirino ist – hat in den vergangenen zwei Jahren eine kritische Distanz zur herrschenden Partei eingenommen, und ist durch ihre Anprangerungen und Aktionen im Staat Aragua zu einem Ärgernis für die der öffentlichen Kritik ausgesetzten regionalen Mafiastrukturen geworden.

Was den Verdacht verschärft, ist weiterhin die schwammige Art, mit der die Regierung und ihre Gefolgsleute mit diesem Verbrechen umgehen; ihr Sprecher schwieg dazu, bis – vier Tage danach – Chávez das Verbrechen erwähnte und in nebulöser Diktion ausländische Firmen und paramilitärische Kräfte dafür verantwortlich machte, weil die Verstorbenen am Tattag ihre Solidarität mit den Arbeitern einer kolumbianischen Firma erklärt hatten. Aus diesen und ähnlichen Quellen speiste sich die offizielle Version – der sich mit Leidenschaft die internationalen Fans der „Bolivarischen Revolution“ anschlossen –, die sich erst änderte, als der Innenminister die Festnahme des Mörders verkündete, und bekannt gab, dass die Gründe für das Verbrechen im Streit um die Kontrolle der kollektiven Arbeitsverträge in der Sprudelindustrie lägen.

Es empörte die Hinterbliebenen der Ermordeten über alle Maßen, dass der Mordanschlag als eine Art ordinäre Abrechnung dargestellt wurde. Darüber hinaus fungierte der für die Morde verantwortlich gemachte, ein Angestellter von Pepsi-Cola, nur als Sündenbock, da mehrere Zeugen ihn zum Zeitpunkt des Anschlags an seinem Arbeitsplatz gesehen hatten.

Als Krönung des Ganzen sagte der neue chavistische Gouverneur von Aragua, der bis jetzt seinen Mund gehalten hatte, er würde keine weiteren Proteste wegen der Morde mehr dulden, da er präzise Informationen hätte, dass diese Proteste Teil eines Destabilisierungsplans wären (schon wieder???!!!). Außerdem, wie wir schon ahnten, wurde eine offizielle Kommission mit der Untersuchung der Angelegenheit beauftragt…


Die Übersetzung von Marcus K. Noche wurde von Trend online übernommen, jedoch sprachlich überarbeitet:

Der spanische Originaltext ist hier zu finden:


(3. April 2009)


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