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Auf einer Skala von eins
bis zehn: Wie hässlich ist die Linke? Dies sind gewiss keine
neuen, oder – wie es im Jargon
gerne sich revolutionär nennender Diskurse oft heißt – „spannenden“ Erkenntnisse. Doch sie gelten
sowohl für den Menschen, der vielleicht erst angefangen hat, sich die
tiefen,
leidbewirkenden Widersprüche und Frustrationen der kapitalistischen
Totalität
bewusst zu machen, als auch für denjenigen, der sich als bereits
fortgeschritten Wähnender in vielerlei Hinsicht schlau gemacht hat und
doch
gute Gründe hätte, auch seiner erworbenen Schläue zu misstrauen. Beide
müssen
der Maxime treu bleiben, sich der kränkenden Zumutung der Kritik nicht
zu
entziehen und sollten jede Gelegenheit froh begrüßen, bei der sie einer
rücksichtslosen,
entlarvenden und polemischen Intervention ausgesetzt werden, die nicht
in allem
Recht haben muss – worauf sie, wie
gesagt, sogar hofft - um ihre segensreiche Wirkung zu entfalten. Unser Genosse Justus Wertmüller, Redakteur der Zeitschrift Bahamas, hat es dieses Jahr verstärkt auf sich genommen, solche angesichts der Triumphe des antisemitischen Wahns dringend nötigen, öffentlichen Herz- und Hirnoperationen durchzuführen, unter zunehmend massivem Widerstand, aber ebenso zunehmender Publikumsteilnahme. Und die Versuche, seine gut besuchten Vorträge zu verhindern und ihn mittels der bewährten großkalibrigen Worthülsen „Sexist“ und „Rassist“ mundtot zu machen, haben nun einen vorläufigen Kulminationspunkt in Bonn gefunden, wo sich, eingeladen durch das Referat für politische Bildung des AStA der Universität Bonn, am 12. November 2010 ein äußerst gemischtes Publikum einfand, um seine Gedanken zum „Sarrazin-Komplex“ anzuhören bzw. mit allen Mitteln zu versuchen, das Vortragen dieser Gedanken zu verhindern. Bei vorherigen
Veranstaltungen, bspw. in Lübeck und München, wurde die Absage der den
linken Konsens überfordernden Veranstaltungen den Betreibern der meist in der linken Subkultur verankerten
Veranstaltungsorte mittels elektronischer Denunziationskampagnen nahegelegt
und von diesen ohne nenneswerten
Widerstand durchgeführt. Das
poststrukturalistische Wörtchen vom „Sprechort“ erhielt damit einen
praktischen
Sinn für die Ideologiekritik, denn die Raumsuche entwickelte sich zur
Schnitzeljagd (was übrigens eine gute, antivegane Metapher für die
Geschichte
der Antideutschen wäre). Auch in Leipzig schloss ein eventueller
Sprechort, das
Zentrum Conne Island, in
vorauseilendem Gehorsam dem Rassistenbann gegenüber und unter Hinweis
auf die
Mühen politischer Konsensfindung, die Tore seines „Freiraums“ für die
perhorreszierte Intervention. In Bonn schritt die
anti-antideutsche Säuberungswelle dergestalt fort, dass es der
örtlichen bzw.
regionalen Niederlassung der antisemitischen Internationalen, vor allem
vertreten durch die „Rote Antifa“ und den Gruppenführer Simon Ernst,
gelang,
sich störend, pöbelnd und schließlich das Podium und den Sprecher
angreifend zu
inszenieren, freilich ohne die Durchführung der Veranstaltung
verhindern zu
können. Die von der Moderation
schließlich gerufene Polizei beendete eine sich steigernde Terrorphase
gegen
den Sprecher, seine Gastgeber und seine Zuhörer, einen direkten
Anschlag auf
das Augenlicht Wertmüllers mittels eines Laser-Pointers inbegriffen,
der einen
in diesem Moment schützend vor ihm Stehenden blendete und verletzte,
was sowohl
ein klinisches Nachspiel hatte,
als auch ein juristisches haben wird. Diese einzelne Tat hat
eine taktische und eine psychologische Komponente, und letztere mag
hier in
einer ferndiagnostischen Interpretation nützlich sein, um, soweit dies
überhaupt möglich ist, über die Motivation des Terrors jenseits seiner
nichtswürdigen Parolen aufzuklären: denn das versuchte Blenden
Wertmüllers
richtet sich gegen seinen Blick, der den Wahn der Angreifer solange
stört und provoziert,
wie er kritisch auf sie fallen kann, was auf
die von ihrem
Bewusstsein abgespaltene Ahnung ihrer Schande schließen lässt. Wertmüller wird als prominenter Exponent der
Ideologiekritik dafür gehasst, dass er trotz der abschnurrenden
Behauptung
seiner totalen Irrelevanz immer wieder die niederträchtige
Bewusstlosigkeit
sieht und offen ausspricht, die sich gerade dort einstellt, wo es um
die
Befreiung des Menschen von Ausbeutung, Unterdrückung und Beschränktheit
gehen
sollte; bei denen, die sich mit den Adjektiven kommunistisch,
feministisch,
emanzipatorisch, solidarisch drapieren und die sich in ihrer
unschuldigen
Selbstgerechtigkeit vom bösen Blick dennoch so bedroht und zu wüstem
Treiben
berechtigt fühlen, wie blaue
Amulette tragende Eingeborene, die den Raub ihrer Seelen durch das
Objektiv der
Kamera fürchten. Eine Schlüsselrolle
spielte an diesem Abend die schon erwähnte, so reflexhaft vorgebrachte
wie von
jeglicher Argumentation unbehinderte Anklage, die noch vor dem ersten
Wort
Wertmüllers Signal gab und dem ambivalenten Publikum von vornherein den
Mund
zuhalten sollte: „Du bist ein Rassist!“ Dieser immer triumphal
vorgebrachte
Vorwurf ist nach dem neuesten Stand der Dinge im postnazistischen
Deutschland
die gymnasiale und akademische Variante des Schimpfwortes „Jude“ auf weniger privilegierten Schulhöfen.
Es ist in beiden Fällen, auf bildungsbedingt verschiedenen Stufen der
Jargonentwicklung, dasselbe gemeint, nämlich das konstitutive
Hassobjekt der
Umma, der zur Verwirklichung drängenden Völkergemeinschaft, die die
sich
dadurch bildenden und gegenseitig findenden rackets
um den Juden unter den Staaten magnetisiert. Es soll in beiden Fällen
bewirken,
dass die umstehenden Zuschauer, gar die Freunde des Angegriffenen, von
diesem
abrücken, um sich nicht selbst der Gefahr der Markierung durch den Mob
auszusetzen. Und in beiden Fällen ist die Motivation der Angreifer
antisemitisch und richtet sich oft, durch die deutsche Staatsräson
zumeist
behindert, frustriert gegen Ersatzjuden, also Projektionsflächen, die
sich mehr
oder weniger nachvollziehbar mit den gewähnten Eigenschaften der Juden
und
ihres Staates identifizieren lassen oder die, wie im Falle Wertmüllers,
öffentlich bedingungslos für Israel intervenieren. Die „Rote Antifa“
hat es so
einfach wie wirksam vorgeführt, da sie während ihres Auftritts und in
ihrem
Bekennerbrief den Grund für ihren Hass auf Wertmüller nach und nach
präzisierte, also von „Rassist“ über "Philosemit" zu „Zionist“
überging und, endlich vor die Tür gesetzt, „Intifada bis zum Sieg“
skandierte.
Dieser ersehnte Endsieg der totalen Integration kann nur durch die
Projektion
eines totalen Feindes gelingen, dem Abschlussritual der Haddsch durch die
rituelle Steinigung des Teufels von der Dschamarat-Brücke aus
entsprechend. Simon Ernst ließ es
nicht einmal an auf der Bühne der Weltpolitik wohlbekannten Techniken
der
Selbstinszenierung als Opfer der Ausgrenzung fehlen, wie zum Beispiel
seine
Performance empörter Fassungslosigkeit darüber, dass ihm „nur eine
Minute“
Redezeit während des Vortrags
herumschreiend zu erpressen gelang. Diese Klage über die Unterdrückung
der
Meinungsfreiheit, immer schon Visitenkarte der Antisemiten, wurde auch
vom
türkischen Präsidenten Erdogan in Davos vorgebracht – mit dem gleichen Hinweis auf die Redezeit, um die
man ihn betrogen und diese Shimon
Peres zugeschlagen hätte. Einer der wenigen heiteren Momente des
tumultuösen
Bonner Abends war der ob des Rauswurfs gekränkte Ruf der verfolgenden
Unschuld:
„Der hat doch damit angefangen!“ Doch die „Rote Antifa“
tut in gewisser Weise nur ihren Job, den sie für den Moment mit ihren
mitgebrachten, aus dem Hamburger Zentrum für Antisemitismusförderung B5 stammenden Aufklebern „Antideutsche
klatschen!“ definierte und der, eingedenk des von diesem Sturmlokal
ausgegebenen Kurses, genau genommen präzisiert
werden müsste: „Antideutsche klatschen, um endlich an die Juden
heranzukommen!“ Denn so ohnmächtig auch die verhasste Kritik ist, sie
wird als störende Hemmung, als den Spaß
verderbendes Gewissen bei den Antiimperialisten selbst und vor allem
bei ihren
Rekrutierungsobjekten empfunden. Die ansteckende Ohnmacht der Kritik
selbst ist
es, die den Zorn dieser Identitätspolitiker erregt, denn sie fürchten
nichts
mehr, als das Protokoll ihrer eigenen Ohnmacht
aufnehmen zu müssen und sind längst dazu übergegangen, ihre
Version der Protokolle der Weisen
von Zion zu schreiben. Die „spannende“ Frage
ist hier aber nicht, wie wahnsinnig diese Revolutionswächter sind,
sondern wie
weit es ihnen gelingt, den vorhin erwähnten Schulhof-Effekt
durchzusetzen und
einem im besten Fall eingeschüchterten Kollektiv das Abrücken von den
unbedingten Verteidigern Israels (und damit schließlich von Israel
selbst)
abzunötigen. Mit Bonn beginnend
lässt sich als unerfreuliche
Antwort hierauf bei den meisten
Teilnehmern der Veranstaltung eine den Ausgang des üblen Geschehens abwartende Vorsicht feststellen, eine in
antizionistischen Zeiten opportune Neutralität, die, auch wenn womöglich nicht in der Motivation, so
doch zumindest in der Wirkung, keine ist und die Preisgabe des von der Bahamas
präzisierten kategorischen
Imperativs impliziert. In diesen Zusammenhang gehört auch das Verhalten
des
Plenums von Conne Island,
insbesondere des schändlichen, sich enthaltenden Drittels, das sein
Heil in der
Positionslosigkeit suchte, sowie das widerstandslose Einknicken vor dem
argumentfreien Rassismusvorwurf seitens diverser Lokalbetreiber in Lübeck und München, die „im Zweifelsfall
gegen den Angeklagten“ entschieden. Hierhin gehört auch
die defätistische, schlimmer noch: politische Haltung der Hamburger
Studienbibliothek vor nunmehr einem Jahr während der Affaire
Lanzmann, die in ihrer Schrift Willkommen
in der Provinz gegen die zu
befürchtende „Wiederholung eines antisemitischen Triumphs“ (S. 8) die folgenlos beschworene „Provokation von
Reaktionären“, die „immer ein linker Anspruch“ war (S. 26) ausspielte,
um sich
lediglich auf „eine Kraftprobe: ob es gelingen kann, dem Treiben der
linken
Antisemit_innen praktisch Grenzen zu setzen“ zu beschränken.
„Praktisch“
wiederum bedeutet hier, dass sich die Politik darin erschöpfte, die
„Vorführung
von Warum Israel durchzusetzen“, was
„als Ziel realistisch“ sei, denn „die B5 dichtzumachen, hätte als
Forderung
rein symbolischen Charakter besessen“ (alles auf S. 8). Und es sei die
zeitnahe
Abrechnung des Hamburger Studienbibliothekars Lars Quadfasel mit den
„charakterlich deformierten“ Antideutschen hinzugefügt, der ihnen auf
der
Konferenz „Wie Scheisse ist Deutschland?“ in Bremen übermäßige
Distinktionsbedürfnisse sowie eine ungesunde und auf theoretische
Vergreisung
hinweisende Obsession mit Deutschland, der Linken und dem Islam
bescheinigte,
was implizit die schon in den Bekundungen des Bündnis
gegen Hamburger Unzumutbarkeiten unübersehbare Bereitschaft
enthält, sich a) mit einer manifest wahnsinnigen und antisemitischen
Linken um
jeden Preis zu versöhnen, und b) diesen Preis – die bedingte
Solidarität mit
Israel, das berühmt gewordene „Verhalten zu
Israel“ – vorauseilend zu entrichten. Dementsprechend wird
die weitgehende Schleifung jedes konsequent zionistischen Profils mit
seiner
faktischen Unmöglichkeit bei gleichzeitigem Verbleib in der linken
Szene
begründet. Denn (immer noch auf dieser äußerst ergiebigen S. 8) zu den
Vorfällen während der Demonstration „Flagge zeigen!“, die als
Spalierlauf einer
so einsamen wie israelsolidarischen Gruppe unter einem
antiimperialistischen
Hagelschauer von Steinen und Flaschen zu beschreiben ist – wobei das
tatenlose
Zuschauen der übrigen Szene kein zu vernachlässigendes Detail wäre –, zu dieser Demaskierung also sowohl des linken
Milieus als auch der vermeintlichen Fortschritte bei seiner
Zivilisierung fällt
Kiez-Kindergärtnern wie Quadfasel & Co. nichts Besseres ein, als
einzuräumen,
„durch die inhaltlichen und formalen Vorgaben (was auch immer von ihnen
im
Einzelnen zu halten ist)“ der Demonstration den „Teilnehmer_innenkreis
[…] so
klein wie möglich gehalten“ zu haben. „Dementsprechend groß war die
Koalition,
die sich gegen sie zusammenfand.“ Darum sei man besser beraten, in
Hamburg mit
zionistischen Formalitäten (durch das „was auch immer“ wie schon so
manches
bereits als Verhandlungsmasse angeboten) den Ball flach zu halten, um
die
pädagogische Illusion weiterhin fortsetzen zu können und unter
vorwegnehmender
Abwehr des doch zuerst in ihnen selbst aufkommenden Vorwurfs, sich „zu
drücken“, geschickt davor zu warnen, sonst „dem antisemitischen Mob
[...]
Rückendeckung zu verschaffen“. All
diesem gegenüber gibt die Georg-Weerth-Gesellschaft Köln kund und zu
wissen, dass sie nicht nur mit Justus Wertmüller, den Veranstaltern und
dem verletzten Genossen solidarisch ist, sondern aus
dieser
Erfahrung eine schlagende Bestätigung ihrer Entschlossenheit gewonnen
hat, den
bösen Blick der materialistischen Ideologiekritik weiterhin ohne Milde
auf das
Treiben der antisemitischen Internationale, ihre Akteure,
Kollaborateure,
Apologeten, Steigbügelhalter, Vermittler und fleißigen Netzwerker zu
richten,
weil es nicht in erster Linie um die vollends verhärteten Avantgarden
der
falschen Aufhebung geht, sondern um die von ihnen längst noch nicht
okkupierten
Unglücklichen, Zweifler, Träumer und Unzufriedenen, die mittels der
Kritik und
Selbstkritik den Mut finden, sich radikal ihres Verstandes zu bedienen.
Diese
sind es, die, zunehmend von krisenhaften Wehen vorwärts gedrängt, zu Veranstaltungen wie in Bonn kommen
und um die es sich zu kämpfen lohnt, mittels rücksichtsloser Kritik,
die sich
nicht mit dem Wahn in den Köpfen gemein macht, sie weder „abzuholen“
noch
„mitzunehmen“ sucht, sondern Ernst nimmt. |
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