Konkret: die Avantgarde der Arschlöcher

Das antiamerikanische Ressentiment besagt, dass Amerika so groß und mächtig sei, dass es eigentlich keinen Feind zu fürchten habe. Wenn es trotzdem Krieg gegen einen Feind führt, dann nur um seine hauptsächlich ökonomischen Interessen durchzusetzen. Wird Amerika der Krieg erklärt und angegriffen, so kann sich das von der eigenen Ohnmacht zerfressene Bewusstsein bestenfalls im Moment des ersten Schreckens zu einer solidarischen Geste mit der beneideten und verhassten „Supermacht“ hinreißen lassen. Sobald der Rauch verzogen und die Aufnahmen von den Opfern und ihren Angehörigen den Bildern von den Kriegsvorbereitungen gewichen sind, setzt das Ressentiment wieder stärker ein. Nach dem Motto: „Was stört es einen Baum, wenn sich die Sau an ihm reibt“, artikuliert sich das Unverständnis darüber, dass Amerika sich von den dreitausend Toten des 11. September hat stören lassen.

Amerikas War on Terror muss in der Folge immer stärker irrealisiert werden. Er darf kein Akt der Selbstverteidigung sein, sondern muss zum Produkt der amerikanischen Hybris erklärt werden. Die Bedrohung wird klein geredet, um sie letztlich auf Al Qaida einzuengen.

Ausgangspunkt der interessierten Analyse ist also nicht die Ideologie der Attentäter, sondern ihre organisatorischen Strukturen. Die auf die Organisationen des Terrors reduzierte Sichtweise hat ihre Entsprechung auf der Seite des amerikanischen Staates, schließlich bedarf ein Krieg eines fassbaren Feindes.

Es kennzeichnet die Asymmetrie des „Neuen Krieges“ (Mary Kaldor), dass der Feind sich als solcher nicht zu erkennen gibt, weshalb der Kampf gegen ihn ein Kampf um Informationen ist, die dabei helfen, den Feind zu identifizieren und zu lokalisieren. Amerika hat auf diese neue Situation mit der Errichtung eines spezielles Militärgefängnisses reagiert: Guantánamo, in dem „feindliche Kombattanten“ unter Anwendung von Folter verhört werden.

In der Konkret-Ausgabe vom Juni hat es Felix Klopotek übernommen, den Zusammenhang des „Weiterbetrieb[s] des Gefangenenlagers Guantánamo mit der Tötung Bin Ladens“ zu erörtern. Klopotek will weder Massenware produzieren, noch will sein Publikum solche konsumieren; vielmehr wollen beide über ihr stehen. Der typische Konkret-Leser will das gleiche wie alle, aber origineller, einen Dreh weiter. Als kritischer Linker will er mitreden, anschlussfähig bleiben und es doch besser wissen. Oder wie der hauseigene Werbeslogan lautet: „Lesen, was andere nicht wissen wollen.“

Lehrbuchartig zeigt Klopotek in der Konkret, wie man den Wünschen seines Publikums entspricht, ohne ihm nach dem Mund zu reden und wie man das wiederholt, was alle sagen, aber vermeintlich kritisch bleibt, indem man es noch überbietet. Der Leser, der bereit ist, Klopotek zu folgen, wird am Ende mit einem As belohnt, das er in jeder Diskussion zücken kann und das immer sticht, weil es die Meinungen der anderen übertrumpft.

Diese Technik funktioniert so: Zunächst werden Artikel und Meinungen aus der bürgerlichen Presse wiedergegeben und der zu behandelnde Gegenstand aus der Sicht der gemeinen Journalisten dargestellt. Durch das Referieren wird eine geringe Distanz merklich, die im weiteren Verlauf des Textes immer größer wird, indem Klopotek etwas verächtliche Formulierungen wie z.B. „Als Gründe fallen den journalistischen Beobachtern …“ oder „Vielen Beobachtern gelten…“ usw. verwendet. Bedeuten soll das: Der Beobachter der bürgerlichen Presse schaut nur auf die Oberfläche, während der Blick Klopoteks tiefer geht. Dies ist allerdings nur die Vorbereitung für das Kommende, die Art, durch die hintergründig ein Versprechen auf Mehr gegeben und die Spannung erhöht wird. Die Analyse, die dann geliefert wird, greift all das in der Massenpresse Gesagte auf und radikalisiert es, zum Beispiel so:

„Das antiamerikanische Ressentiment sieht im Krieg gegen den Terror den Wahn einer moralisch-kulturellen Hybris am Werk, flankiert von höchst profanen wirtschaftlichen Interessen:[…]“ Jetzt wird Klopoteks Leser nervös, denn so denkt es in ihm ja auch. Der Dreh muss also schnell kommen. Die Doppelpunkte kündigen an, die Auflösung folgt sogleich: „Aber um die Durchsetzung einzelner wirtschaftlicher Interessen geht es nicht – sondern ganz generell um die Durchsetzung einer Ordnung, in der auch die private ökonomische Initiative sich uneingeschränkt betätigen darf“. Geschafft! Die Amis wollen nicht einfach Kohle machen, sondern eine Ordnung etablieren, in der private Unternehmen überhaupt, nämlich „ganz generell“, Kohle machen können.

Anderes Beispiel: Die bürgerlichen Beobachter sehen mit dem Tod Osama bin Ladens die Möglichkeit des Endes des War on Terror gekommen, „Al Qaida, ohnehin ein lockeres Bündnis verschiedener regionaler Terrorgruppierungen, dürfte nach und nach in seine Einzelbestandteile zerfallen: lokal durchaus mörderisch gefährlich, aber kein weltweit einheitlich agierender Feind mehr. Der Krieg gegen den Terror würde zum überschaubaren Problem der jeweils betroffenen Staaten.“ So die Vorstellung der Journalisten, die glauben, dass Amerika wieder auf anständige Weise Geld verdienen würde, wenn der Vorwand für den Krieg wegfiele. Doch Klopotek weiß es besser: „Aber dieser Krieg trägt seine permanente Entgrenzung in sich – er ist der Prüfstein, an dem sich für die USA die Stimmigkeit ihres Attributs, ‚die einzige Weltmacht’ zu sein, erweist. Es ist ja nicht so, als würde die ‚asymmetrische Kriegsführung’, also die Verweigerung der offenen Feldschlacht durch eine der Kriegsparteien, die Supermacht zum ‚schwarzen Loch des Rechtsstaates’ drängen, sondern umgekehrt: Weil der Kontrollanspruch universell ist, wählt der streng genommen von vornherein unterlegene Feind eine Strategie der Asymmetrie.“ Solange Amerika Weltmacht sein will, muss es den Weg der permanenten Entgrenzung des Krieges wählen: einen Weg, der den Selbstmordattentätern keine andere Möglichkeit lässt, als in New Yorker Hochhäuser zu fliegen und sich in spanischen und britischen Zügen in die Luft zu sprengen. Die USA werden so zum entfesselten Aggressor, der seinen totalen Herrschaftsanspruch unter Beweis stellen muss, Al Qaida zu wackeren Kämpfern gegen einen universellen Kontrollanspruch: Amerika hat Al Qaida zur Wahl der terroristischen Mittel gezwungen und ist somit selbst schuld am 11. September und an allen weiteren Selbstmordattentaten.

Während es also antiamerikanisch sei, profane Gründe für das Handeln Amerikas zu suchen, will Klopotek Amerika - ganz ohne antiamerikanisches Ressentiment - unterstellen, „eine[.] weltweit imperial agierende, an sich selbst paranoid gewordene[.] Kriegsmacht“ zu sein.

Die Verschiebungsleistung ist bemerkenswert: Klopotek weist jeden Vorwurf eines Ressentiments von sich und erhebt ihn gegen all jene, die noch nicht sein Level der Verdrehung erreicht haben. Antiamerikanisch ist nicht Klopotek, sondern die bürgerliche Presse. Paranoid ist nicht Klopotek, sondern Amerika, weil es Feinde „erfindet“. Es gäbe demzufolge also gar keine Gotteskrieger, diese seien nur Hirngespinste der verrückten Amerikaner. Und weil die Amerikaner mächtig genug seien, ihren Wahn Wirklichkeit werden zu lassen, hätten sie eine Fabrik errichtet, in der sie Feinde bauten. Laut der von Klopotek zitierten bürgerlichen Presse konstruiere „sich eine unkontrollierte US-Exekutive eine Gefahr“ (SZ). Das Laboratorium der Mad Americans, in dem sie ihren „unvorstellbaren Feind“ (Debord) herstellten, sei Guantánamo, so die antiamerikanische bürgerliche Presse. Klopotek stimmt mit dieser darin vollkommen überein, aber damit ist es für ihn nicht getan. Wo die Presse nur beobachtet, hat er eine Theorie: Für den Westentaschen-Agamben Klopotek ist Guantánamo nicht einfach ein Problem für die Legitimität des Rechtsstaates, wie die Journalisten glauben, sondern notwendige Folge der legitimatorischen Grundlage des Rechtsstaates überhaupt. Guantánamo sei mehr als nur die Fabrikationsstätte des Feindes, sondern darüber hinaus auch Frontabschnitt in einem Krieg, der aus den universellen Werten des „bürgerlichen Humanismus“ resultiere, deren Hort Klopotek in Amerika verortet. „So kommt es, daß die liberalen Werte universell gelten – und gerade diese Universalität ein Lager wie Guantánamo und diverse Geheimknäste nötig macht.“  Die fundamentale Funktion Guantánamos, das Grundlage der Geltung liberaler Werte ist, drängt jeden amerikanischen Präsident, selbst Obama, dazu, Guantánamo als Notwendigkeit zu akzeptieren. Das Lager Guantánamo wird zum Signum des Empires, des verallgemeinerten Ausnahmezustandes.

Was das in der Konsequenz zu bedeuten hat, ist recht eindeutig: Die Beendigung des Ausnahmezustandes und die Abschaffung liberal-universeller Werte sind nur durch den Untergang Amerikas zu erreichen. Der sensible und besserwisserische Antiamerikanismus Klopoteks mag sich von seinem weniger verschämten Original darin unterscheiden, dass er nicht „Death to America“ brüllt; der von ihm hergestellte Nexus zwischen Rechtstaat, Guantánamo und dem War on Terror läuft jedoch auf nichts anderes hinaus, da er keine andere Wahl lässt, als mit der Schließung Guantánamos auch das Ende Amerikas zu fordern. Klopotek kann letztlich nicht viel origineller sein als die Quellen, aus denen er so freimütig abschreibt. Was Giorgio Agamben noch für das poststrukturalistische Oberseminar formuliert hatte, von dem Unsichtbaren Komitee dann linkentauglich auf den Punkt gebracht und nun durch den Komitee-Jünger Klopotek in die es einst besser wissende Konkret integriert wurde, lässt sich als Programm in wenige Worte fassen: „Die Vermittlung wird jetzt abgeschafft“ (Horkheimer), und zwar durch den Aufstand der Arschlöcher und deren Avantgarde, Felix Klopotek und die Konkret.
 

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