VERZIEHT EUCH!
CASSEZ-VOUS!


Ein Licht tanzt freundlich vor mir her,
ich folg' ihm nach die Kreuz und Quer;
ich folg' ihm gern und seh's ihm an,
dass es verlockt den Wandersmann.

Wilhelm Müller, Täuschung

Obwohl der Anlass für den folgenden Text im heutigen Auftritt Stéphane Hessels auf der lit.Cologne liegt, ist es angesichts der relativen Austauschbarkeit seiner momentanen Funktion zuvor nötig, das Bedürfnis der Öffentlichkeit nach solchen und ähnlichen Vordenkern zu behandeln.

Eines der drängendsten Probleme der Weltgemeinschaft im 21. Jahrhundert ist die globale Energiekrise. Die Nicht-Erneuerbarkeit fossiler Brennstoffe führt zu ihrer steten Verteuerung und macht die warenproduzierenden Nationen immer abhängiger von den Besitzern der letzten Reserven.

Gleichzeitig lässt sich ein nicht minder belastendes Energieproblem bei der Ideologieproduktion feststellen. Die im Allgemeinen apathischen Bürger des Westens schaffen es nicht, die extrem verkürzte Aufmerksamkeitsspanne der Massenmedien durchzuhalten, also beispielsweise ein gewisses Maß an Erregung wegen der Reaktorkatastrophe in Japan über die üblichen zwei Wochen hinaus aufzubringen. Es ließe sich von einer burn-out-Problematik des politischen Engagements sprechen, von einer allseits beklagten Politikverdrossenheit, die die medialen Elternabende und Besinnungsrunden im Fernsehen überschattet. Schon deshalb richtet sich der Blick der politischen Animateure in Feuilletons und Talkshows hoffnungsvoll auf die Repräsentanten einer scheinbar von keiner Verantwortung beschwerten, leidenschaftlichen Naivität, wie sie bei der Piratenpartei, der Occupy-Bewegung und auch den Protestbewegungen in der arabischen Welt vermutet wird. In diese gefühlte Jugend, namentlich in Deutschland, reihen sich sogleich Scharen von älteren Herrschaften ein, die ihre Karriere schon hinter sich haben und dementsprechend zum Bramarbasieren und Abrechnen aufgelegt sind. Man konnte diese skurrile Allianz von Großvätern und Enkeln bei den Stuttgart-21-Protesten gut beobachten, wie auch bei den neueren Anti-Atomprotesten, die eine ähnliche Altersstruktur wie die alten Ostermärsche der Friedensbewegung haben.

Die Alten und die Jungen haben die zugespitzte Unwirklichkeit ihres gesellschaftlichen Wertes gemeinsam: Erstere haben ihre wertschaffende Phase hinter sich und sehen sich einer tendenziellen Liquidation ausgesetzt, bei der ihnen etwa künstliche Hüftgelenke im hohen Alter nur noch widerwillig gegönnt werden. Die Jungen wiederum stehen bangend vor dem Salto Mortale in den Arbeitsmarkt oder durchlaufen erst gerade seine untersten Hürden, und ein unabweisbarer Zweifel nagt an der Zukunftsfähigkeit ihrer Ausbildungen. So ist es kein Wunder, dass diese beiden Segmente der Alterspyramide stärker als der Rest apriorisch verunsichert und manisch-panisch mobilisierbar sind. Es entspricht aber im höchsten Maße dem Zeitgeist der nachbürgerlichen Gesellschaft, dass ihre Mobilisierung nicht etwa als Rentneraufstand oder Lehrlingsrevolte auftritt, sondern als interessierte Interesselosigkeit, als Prozessionen und Passionspiele im Namen des Allgemeinwohls und der Volksgesundheit. Selbst die studentischen Bildungsstreiks waren von Beschwörungen des volkswirtschaftlichen Nutzens, des Standortvorteils durchzogen, von einer idealistischen Rhetorik, die insoweit den selben Geist wie die liberalen Exzellenz- und Bildungselitenvisionen atmete, als sie das Glück des Individuums dem kollektiven Vorankommen unterstellte. Die amateurhafte Empörung krankt an ihrer Ichschwäche und macht sich stets die Parolen der Herrschaft mit überbietender Wut zueigen. Doch ohne planmäßige Förderung erschöpft sich diese Wut so schnell, wie sie entsteht, gerade weil sie mit dem ideologischen Strom schwimmt, weil sie nicht radikale Kritik, sublimierte Wut, werden kann und will.

Sowohl das allmähliche Schwinden der weltweiten Erdölvorräte als auch die Neigung aufflammender Empörungsäußerungen, sich als enttäuschende Strohfeuer zu erweisen, werden zusätzlich dadurch brisant, dass der größte Teil an Vorräten dringend gebrauchter politischer und ökonomischer Energie - also verflüssigter Fossilien und empörtem Engagement - in Regionen konzentriert sind, die sich stets noch weiter barbarisieren und islamisieren.

Das ökonomische Klientelverhältnis zwischen der stotternden Maschinerie des Kapitalismus und ihrer arabischen Zapfsäulen findet eine politische Entsprechung im Transfer ideologischen Wahnsinns von jenen barbarischen Einöden zu den intellektuellen Wüsten der westlichen Öffentlichkeit. Das arabische Mekka begründete einst seine ursprüngliche Macht auf den Karawanen, die äthiopischen Weihrauch bis in die Gotteshäuser von Byzanz brachten, und auch heute spannt sich ein komplexes Netz von modernen Handelswegen und Karawansereien, also ideologischen Weihrauch verbreitenden Diskursen und Organisationen, zwischen den unglücksfördernden Fanatikern und den glücklosen Bürgern, die sich meist keine Rechenschaft über die genauere Herkunft ihrer Betriebsstoffe geben. Dies geschieht umso leichter, als die einzelnen Teile der Verbindung von Zivilisation und Barbarei oft nicht weit über ihre jeweilige, kleine Rolle hinaussehen können und deshalb keine Schwierigkeit haben, sich treuherzig und mit bestem Gewissen von den hässlicheren Vorgängen weiter down the line zu distanzieren.

Das geistige Nomadentum der gebildeten Banden des Westens trägt zur Durchsetzung der destruktivsten Kräfte bei, deren Schrecken und Raserei der bürgerlichen Todessehnsucht als unbedingte Authentizität zur verbotenen Frucht werden, als von allen Konventionen erlösende und sich aller Hemmungen entschlagende, unmittelbare Gewalt. Eine horizontlose Leere in den kapitalen Subjekten, die intellektuell als Postmoderne ausformuliert wird, macht sie anfällig und gefügig für die präpotenten Drohungen von Islamisten und Berufspalästinensern. In den apathischen Bürgern selbst war die Bereitschaft zum Dschihad, zur militanten „Anstrengung“ um reinen Gotteslohn, bereits in Form des alten Kultes um die Arbeit angelegt, welche sich immer weiter von ihrer ursprünglichen Sinnhaftigkeit als Mittel zum Lebenserwerb entfernt hat und mit immer schrilleren Tönen als sinnstiftende Lebensdisziplin vermisst wird. Dabei ist das ursprüngliche Ideal der ökonomischen Leistungskraft in einen Diskurs von Lebensqualität, Nachhaltigkeit und Aktivität übergegangen,  der produktiven Fleiß wird durch den politischen Fleiß fortgesetzt. Unglücklich, wie sie dennoch sind, verfallen die Bürger der morbiden Faszination mit der nackten Totalität, die sie gleichzeitig fürchten und herbeirufen. Die Zersetzung der immer schon kriselnden Identität der Bürger zwischen Überflüssigkeit und Entfremdung treibt sie panisch in ideologische Kompensationsakte, in vermeintliche Rebellionen, die in Wirklichkeit Anrufungen einer unvermittelten Herrschaft darstellen. Da sich die Einzelnen der Ware Arbeitskraft nicht sicher sein können, die sie ernähren sollte, schieben sie ideologische Überstunden, um sowohl die Herrschaft als auch sich selbst ihres Wertes zu versichern. Dabei machen sie sich zu besorgten Staatsdenkern, denunzierenden Leserbriefschreibern, empörten Bloggern, Stadtteilinitiativen und Heimatschutzvereinen, die das Eingreifen der Organe des Volkskörpers fordern. Mit einem Wort: sie engagieren sich.

Ein Musterbeispiel hierfür ist der heute in Köln auftretende Stéphane Hessel, seines Zeichens französischer Résistancekämpfer, UN-Diplomat, Assistent Henri Laugiers, des Mitverfassers der UN-Menschenrechtserklärung von 1948, Empörungsaufrufer, jüdischer Abstammung (warum das wichtig ist, wird mit dem Folgenden klar werden) und Israelkritiker (was sein Judesein zur wertvollen Zutat macht).

Die Hessel produzierende 12. lit.Cologne verbindet bereits in ihrer Namensgebung eine sprachvergessene Orthographie, die mit der optischen Suggestion von Netzaktivität zu punkten meint, mit der aufgesetzten Internationalität der sich gerne als weltoffen gerierenden Rheinprovinzler. Dieses sogenannte Literaturfest, vom Kölner Verkehrsverein und KölnTourismus preisgekrönt und vom ewigen Klüngel aus WDR, RheinEnergie und Sparkasse gefördert, hat vor allem den Nutzen, die Arbeitslosigkeit unter deutschen Haupt- und Nebendarstellern, Journalisten und Kulturschaffenden in einer Stadt etwas abzumildern, in der bei Kneipengesprächen „irgendwas mit Medien“ ein allgegenwärtiger Refrain ist. Doch es wäre keine deutsche Veranstaltung, wenn es nur um einen rein ökonomischen Zweck ginge. Die lit.Cologne will sich als intellektueller Impulsgeber, als ideologischer Herzschrittmacher inszenieren. Ihre Pappenheimer kennend, bescheinigen die Veranstalter im Programmheft dem erwarteten Publikum vorab eine „unendliche Begeisterungsfähigkeit“, und tatsächlich wird ihm mit dieser Goebbelsvokabel kein schweres Unrecht angetan.

Hessel ist nicht einmal die allerverrückteste Stimme im Chor der Israelkritiker, die durch die Medienlandschaft geistern. Er inszeniert sich als moderat, liberal und demokratisch und würde jegliche Verbindung zwischen seinem postkolonialen Antirassismus und den Triumphen der Barbarei vehement bestreiten. Die Betreiber der lit.Cologne haben bei der Auswahl der profilgebenden Köpfe darauf geachtet, dem interessierten Publikum lediglich antiisraelische und antikapitalistische Appetithäppchen anzubieten, die den großen Hunger nicht stillen, sondern wachhalten und Lust auf mehr machen.

Da wäre unter den weiteren Events der ehemalige Geldwäscher Arafats, Sari Nusseibeh, der aufgrund seiner Rolle als PLO-Sprecher während der ersten Intifada die Erkenntnis mit den deutschen Zuhörern gemein hat, dass man manchmal mit den Juden nicht ganz so umspringen kann, wie man möchte. Dann ist da noch der Autor des Buches „Muslim Punk“, Michael Muhammad Knight, der einzig zu dem Zweck publiziert, die hipness und Verwestlichung amerikanisch-muslimischer Einwanderer zu behaupten, wohingegen seine Zuhörer nichts anderes als die Mär von den „vielen Gesichtern des Islam“, namentlich seiner Toleranz, hören wollen. Als weitere Zeitgeist-Akzente dürften auch Joseph Vogls Spekulantenbeschimpfungen, Tomáš Sedláčeks Meditationen über „Gut und Böse in der Ökonomie“ und die von Hessel ausdrücklich empfohlene „Gemeinwohl-Ökonomie“ Christian Felbers zählen.

Hessels Beitrag selbst, von der lit.Cologne als Lebenszeugnis eines „glücklichen Rebellen“ angekündigt, beruht auf dem literarischen Erfolg seiner Pensionärsphilippika „Empört Euch!“, und dieser Erfolg dürfte zum Teil an der Tatsache liegen, dass die Menschen in Zeiten politisch-ökonomischer Unsicherheit aus dem bloßen Angeherrschtwerden des Buchtitels bereits einen gewissen Trost beziehen. Nicht umsonst ist Hessels idiotischer Imperativ längst auf andere Buchtitel metastasiert, die sich ebenfalls dieses Kommandotons bedienen. Deshalb auch der Titel der vorliegenden Flugschrift, in der zagen Hoffnung, der Eine oder Andere möge dem Ausrufezeichen aus reinem Reflex gehorchen.

In seinem Mahnschreiben bekundet Hessel zunächst die totale Beliebigkeit des jeweiligen Empörungsanlasses mit einer französischen Offenheit, die nur noch in der deutschen Indifferenz gegen den realen Sinn jeder konkreten Beschäftigung ihre Entsprechung findet. Gerhard Schröders „Hauptsache Arbeit“ findet hier in Zeiten brüchiger Garantien eine folgerichtige politische Fortführung als prinzipiell gegenstandsloses Engagementgebot, das Hessel den von der Offenbarung ihrer Überflüssigkeit stets bedrohten Bürgern dekretiert. In einer Stadt, die mit dem unfassbar unbedachten Slogan „Kölle es e Jeföhl“ für sich wirbt, wird so eine diffuse Animation wie die Hessels gewiss viel Zuspruch finden, geht es doch am Rhein immer nur ums Mitschunkeln. Oder um es mit dem diesjährigen Karnevalsmotto zu sagen: „Jedem Jeck sing Pappnas“. Hauptsache engagiert.

Doch Hessel kann es nicht bei den so moralischen wie kostenlosen Allgemeinplätzen belassen, wie z.B. dass zwischen Arm und Reich eine zunehmende Kluft klafft, dass wir uns um die Belange von Menschen in Not kümmern und überhaupt alle viel netter zueinander sein sollten. So was erweckt beim besten Willen keine „unendliche Begeisterung“. Für solche Appelle zahlt der Besucher an der Abendkasse keine 19 € und Hessel ist von den alerten Betreibern der lit.Cologne nicht dazu herbeigerufen worden.

Der Gebrauchswert des Abends entsteht erst mit der Kombination von Hessels bestenfalls dummen Tiraden gegen Israel und den akkumulierten offenen Rechnungen in den Köpfen seiner deutschen Zuhörer. Denn der greise Aufruf an die Weltjugend, einen beliebigen Gegenstand der Empörung auszuwählen und sich beharrlich darin zu engagieren, erweist sich als bloße Einübung wutbürgerlicher Reflexe, die sowohl bei Hessel als auch seinen Bewundern mit blinder Sicherheit auf das Urärgernis des Judenstaates stoßen, auf die skandalöse Tatsache der unverzichtbaren jüdischen Selbstbewaffnung, die die von Hessel mitvorbereitete Allgemeine Menschenrechtserklärung praktisch der Lüge überführt.

Doch nicht der Antisemitismus, die nicht nur im Orient fortbestehende Unmöglichkeit, heute Jude zu sein, wird Hessel zum Skandal, sondern dass sich die Juden erfrechten, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, anstatt sich auf die hochherzigen Versicherungen der internationalen Sonntagsredner zu verlassen. Hessel ist die Identifikation mit den antisemitischen Tätern so weit gelungen, dass seine undiplomatische Note von Verständnis für die „Verzweiflungstaten“ der Terroristen überfließt. Er bietet sich bereitwillig als jüdischer und antifaschistischer Kronzeuge an, der den Israelis bescheinigt, nichts aus Auschwitz gelernt zu haben und nunmehr selber Nazis geworden zu sein. Und genau dies ist das Geheimnis seines Erfolges, gerade in Deutschland, wo sich mit den Juden nicht ganz unverkrampft Tacheles reden lässt, wenn keiner wie Stéphane Hessel zur Hand ist. In der Sprache der von ihm theatralisch als Friedenstruppe beschworenen, in Wirklichkeit zu ihrem Ruhm keineswegs pazifistischen französischen Résistance, ist Stéphane Hessel nichts als ein collabo - ein Kollaborateur der Antisemitischen Internationale, bestenfalls ein nützlicher Idiot derjenigen, die den antirassistischen, postkolonialen Universalismus, der damals ausgerechnet von den französischen Mitverfassern  in die UN-Menschenrechtserklärung hineingeschrieben wurde, konsequent als  postmodernen Partikularismus, als Selbstbestimmungsrecht der Barbaren durchsetzen wollen. Durch sein vorgerücktes Alter massenkompatibel enthemmt, markiert Hessel den „glücklichen Rebellen“ so eifrig, weil seine vermeintliche Rebellion, die ihm die Vortragssäle füllt und seine gedruckten Plattitüden zu verkaufen hilft, in Wirklichkeit der reinste Konformismus ist, der kleinste gemeinsame Nenner zwischen deutschen Wutbürgern, antinationalistischen Linken, islamischen Apokalyptikern und völkerkundigen Antiimperialisten. Ihnen allen sei der abschließende Imperativ zugedacht:

Lang lebe Israel!


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