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Politische Ökonomie
des Elends
Referat der Georg-Weerth-Gesellschaft Köln zur
Veranstaltung „No Logo - No Music“ am 11.12.2003
I.
Beim Europäischen Sozialforum in Paris, das man wohl mit Fug und
Recht als Antiglobalisierungskongress bezeichnen kann, trat der antisemitische
Charakter dieser Bewegung so vehement hervor, dass nicht einmal die eigenen
Gurus diesen noch vertuschen konnten. Der Attac-Gründer und Herausgeber
der le monde diplomatique, jener Fachzeitschrift für anerkannten
Kulturrelativismus und Israel-Hass, Bernhard Cassen, sprach in Interviews
von einem „Skandal“ und von einer drohenden „Spaltung“
der Bewegung. Was war geschehen? Der Genfer Islamist und Verwandte von
Muslimbruderschaft-Gründer Hassan Al-Banna, Tariq Ramadan, war zum
Sozialforum eingeladen worden und durfte nach einigen Protesten am Kongress
teilnehmen und sprechen. Jener Ramadan macht in der französischen
Öffentlichkeit vor allem dadurch von sich reden, dass er eine antisemitische
Hetzkampagne gegen französische jüdische Intellektuelle führt
und diese der Kollaboration mit Israel bezichtigt. Während die französische
Presse seine Schmähartikel nicht veröffentlichte, durfte Ramadan
am Sozialforum teilnehmen: Ohne Spaltung der Bewegung. Der vermeintliche
Skandal entpuppte sich als business as usual und der Islamist sprach unter
Gleichgesinnten, die ihrer Ideologie bloß einen anderen Namen geben.
Und während ebenfalls an demselben Wochenende und am selben Ort eine
jüdische Schule in Paris in Brand gesteckt wurde, griffen einige
Übereifrige einen jungen Mann an, der Flugblätter auf dem Sozialforum
verteilte, in denen zu lesen war, man dürfe Scharon nicht mit Hitler
gleichsetzen. Diesem Mutigen wurde kurz darauf vom Ordnungsdienst der
Veranstalter ein Platzverweis erteilt und seine Personalien wurden kontrolliert
- während die militanten Antisemiten, die ihn angegriffen hatten,
ungestört am Kongress teilnehmen durften. Ein Wochenende der Arbeitsteilung
also: Die eine Gruppe greift jüdische Einrichtungen an, die Ideologen
debattieren und hetzen auf, der angesehene Kritiker und Verleger verleiht
dem Grauen nach außen hin den schönen Schein des Differenzierungsvermögens.
Nun wird der sympathisierende deutsche Linke, der diese Ausführungen
hört, der sich wahlweise selbst als Globalisierungsgegner bezeichnet
oder alternativ als „kritisch solidarisch“, jedoch niemals
als Gegner dieser Bewegung, einwenden, hier würde einseitig über
eine Bewegung geurteilt, die doch so viele positive Vorschläge zur
Umgestaltung der Welt hervorgebracht habe. Wie es sich mit der Einseitigkeit
verhält und ob es nicht wirklich nur jene eine antisemitische Seite
der Antiglobalisierungsbewegung gibt, die mit der Erzählung der Ereignisse
vom Europäischen Sozialforum veranschaulicht wurde, das soll Thema
des Vortrags sein. Denn trotz aller von den Protagonisten so positiv hervorgehobenen
Unterschiedlichkeit der Bewegung, in der von Anarchisten über Umweltschützer
bis hin zu Faschisten sich alle pudelwohl fühlen, lässt sich
durchaus ein einheitliches Bild der Ideologie dieser Bewegung zeichnen,
welche gerade aufgrund ihrer Beschaffenheit für so viele äußerlich
unterschiedliche politische Richtungen offen ist.
Die Islamische Zeitung jedenfalls, jene Zeitung für fortschrittliche
assimilierte Muslime in Deutschland, kann partout nicht davon ablassen,
alle drei Wochen mit einem Leitartikel über die Gemeinsamkeiten von
Antiglobalisierungsbewegung und dem Islam aufzuwarten. Und die Frankfurter
Allgemeine Zeitung zitiert am laufenden Band Wirtschaftsexperten, welche
dem Europäischen Sozialforum weitaus mehr Bedeutung zumessen als
den internationalen Treffen der EU-Ministerpräsidenten, welche immer
wieder Anlass für den Auftritt der Antiglobalisierungsbewegung sind.
Ganz eindeutig: Das Wirtschafts- und Sozialprogramm der Antiglobalisierungsbewegung
scheint zukunftsträchtig. Betrachten wir nun, worin es wesentlich
besteht.
II.
Die Linke ist sich in Deutschland nicht nur mit der Regierung einig, sondern
sie ist selbst an der Macht. Aber weil im postfaschistischen Sozialstaat
die Kategorien von „Rechts“ und „Links“ ohnehin
keinerlei Bedeutung mehr haben, weil sich alle prinzipiell einig sind,
heißt „links“ in diesem Zusammenhang lediglich, dass
die gegenwärtige, anscheinend aus der Logik deutscher Ideologie heraus
notwendige Politik durch eine linke Partei mit klassisch linken Ideologien
wie Antiimperialismus, Solidargemeinschaft und Antirassismus begründet
wird. Wenn Globalisierungsgegner also gegen die Regierung wettern, kann
es nur darum gehen, bestimmte Details zu besprechen. Stets ist dem Staatspersonal
bewusst, dass es keinen Umsturz geben wird, weil die „Bewegung von
unten“ keine aufrührerische Ansammlung von Individuen ist,
sondern eine Masse, die die Interessen von Staat und Kapital verinnerlicht
hat und diese als ihre eigenen anerkennt. Ein möglicher Umsturz wäre
allenfalls als faschistische Machtergreifung zu denken, aber auch das
steht augenblicklich wohl nicht auf der Tagesordnung. Die „Kampagnenfähigkeit“
der Sozialdemokratie, wie Müntefering es jüngst nannte, hat
ihren Grund auch in der Tatsache, dass es eine antiglobalistische Massenbewegung
gibt, die sowohl die entscheidenden Anstöße für jene Kampagnen
gibt, als sie auch in der Lage ist, bestimmte Stimmungen und Meinungen
durch ihre Scheingefechte in der grundsätzlich sympathisierenden
Restbevölkerung zu mobilisieren. Die Zeit der Massenaufmärsche,
die zweifellos wieder gekommen ist, ist ein konsequenter Ausdruck dieses
erneuerten Bündnisses von Mob und Elite. Es geht den Globalisierungsgegnern
nicht um den wesentlichen Charakter einer bestimmten Politik, sondern
nur darum, die Realisierbarkeit von Forderungen zu diskutieren.
Diese Diskussion um Realisierbarkeit, z.B. der Erhaltung der materiellen
Seite des Sozialstaates, die die Antiglobalisierungsbewegung umtreibt,
ist eine spezifische Beantwortung der Frage nach der Organisationsform
des Staates in der krisengeschüttelten warenproduzierenden Gesellschaft,
die als rationale Antwort erscheint. Indes erscheint sie aber nur vermittelt
über die fetischistische Form des Geldes als rationale Antwort, wo
sie doch auf dem automatischen Subjekt der Selbstverwertung des Werts
beruht, das keinen weiteren Zweck als den Selbstzweck der Aufrechterhaltung
von Warenproduktion zulässt. Die Antiglobalisierungsbewegung zerbricht
sich sozusagen den Kopf des Staates darüber, wie Warenproduktion
auch in der Krise aufrecht zu erhalten ist. Ihre Antwort: Die Verschmelzung
von Staat und Bürger ist die Lösung, in dem die Bürger
zu bloßen Funktionen der Produktion degradiert werden und sich selbst
degradieren. In so einem Falle werden sie wahlweise als Arbeitskraft oder
Soldat eingesetzt oder schlicht und einfach abgeschaltet und als Ersatzmaterial
vom Staat am Leben gehalten. Das nennt sich dann Sozialstaat. Warum die
Globalisierungsgegner nicht in der Lage sind als Subjekte zu denken, sondern
nur als Staatsbürger, ergibt sich aus folgendem Zusammenhang: In
der Urform des Fetischismus, nämlich x Ware A = y Ware B, drückt
sich die Bewusstlosigkeit des Subjektes gegenüber dem objektiven
Formzusammenhang des Wertfetisches aus, das kapitalistische Subjekt ist
durch sein Handeln zugleich Subjekt und Objekt der Verhältnisse,
die es sowohl immer wieder neu hervorbringt als auch selbst Opfer des
außer ihm liegenden Zwanges ist. Je mehr es sich an die Verhältnisse
klammert und darauf insistiert, als variables Kapital in die Produktion
eingehen zu dürfen und somit gefälligst am Leben bleiben zu
müssen, desto größer wird der Drang zur Identifikation
des Geldbesitzers sowie des Geldlosen als zu eliminierenden Feind - denn
die Krise lässt dass Subjekt haut nah spüren, wie wenig das
Kapital eigentlich noch seiner als Arbeitskraftbehälter bedarf.
Die berechtigte Furcht vor der Überflüssigkeit bestärkt
die ohnehin schon in der Konstitution der Staatsbürger liegende Tendenz,
sich in Krisenzeiten zum durch den Staat angeführten barbarischen
Kollektiv zu vereinigen, um den zum Feind Erhobenen aus der Gemeinschaft
auszuschließen und darin die an sich unverständliche Vermittlungsinstanz
zwischen Subjekt und Gesellschaft, das Geld, abzuspalten, um es als personifiziertes
Übel der Vernichtung zuführen zu können. Das Subjekt will
seinen subjektiven Charakter aufgeben und fordert stattdessen den politischen
Souverän auf, das Subjekt durch allseitige Vernichtung in einen Teil
der Gemeinschaft aufzulösen. Damit gibt es seine Autonomie, juristisch
gesprochen, seine bürgerliche Freiheit und Gleichheit auf, um als
Teil des Volksstaates oder, radikalisiert, der Volksgemeinschaft sich
der Verantwortung für das eigene Überleben zu entziehen. Dies
ist der Grund dafür, warum in Weltgegenden in denen die faktische
Überflüssigkeit von Menschen als Arbeitskraftbehälter täglich
tausende Tote fordert, eben keine Rebellion gegen das Elend stattfindet,
sondern eine gegen die halluzinierten Verursacher des Elends, die den
gleichen Konsequenzen der Überflüssigkeit von Arbeitskraft -
und damit Arbeitskraftbehältern, also Menschen - unterworfen werden
sollen. Denn auch in der Dritten Welt hat sich die Identifikation der
Juden mit dem Geld mittlerweile herumgesprochen, wie man an den antisemitischen
Ausschreitungen in Argentinien beobachten konnte. Dies veranlasste hunderte
Juden zur Auswanderung nach Israel.
III.
Der historische Gebrauchswert des Kapitals, nämlich der über
den Prozess G-W-G‘ vermittelte Sieg über die Natur, vergeht,
weil der Weg aus der Naturverfallenheit heraus einer neuen Naturverfallenheit
geopfert wurde, die sich mit der Fortdauer immer mehr verfestigt und unaufhebbar
wird. Horkheimer und Adorno schreiben: „Zivilisation ist der Sieg
der Gesellschaft über die Natur, der alles in bloße Natur verwandelt“
(DdA, S. 195). Damit wäre ausgesprochen, dass die Möglichkeit
des Vereins freier Menschen, also des Kommunismus, zwar einzig aus dem
Kapitalverhältnis entspringt, diese Möglichkeit aber zugleich
verstellt ist durch die neue Naturverfallenheit.
Jene neue Naturverfallenheit des Kapitals entpuppte sich erst historisch
als totale Vergesellschaftung, indem der privatwirtschaftlich betriebene
liberale Kapitalismus der Frühzeit, in dem die so genannte unsichtbare
Hand des Marktes, die freilich immer schon in Wahrheit der Wert war, die
Produktion regelte, in seiner Zusammenbruchskrise zum Volksstaat regredierte.
Diese Entwicklung, die in Deutschland aufgrund der spezifischen historischen
Bedingungen ihren konsequentesten Ausdruck fand, weil hier das Verhältnis
des Bürgers zum Staat ein höchst inniges war, ist dennoch ein
weltweites Phänomen, weswegen von einer staatskapitalistischen Epoche
gesprochen werden kann. Trotzdem ist festzuhalten, dass die Transformation
bürgerlicher in postbürgerliche Verhältnisse in den einzelnen
Nationalstaaten äußerst verschieden ausfiel. Ohne auf diese
Unterschiede an dieser Stelle näher eingehen zu können, ist
es offensichtlich, dass im Gegensatz zur deutsch-österreichischen
Volksgemeinschaft, dem Staatssozialismus der ehemaligen Ostblockstaaten
sowie dem demokratischen Korporatismus Skandinaviens, die klassisch-liberalen
Nationalstaaten wie USA und Großbritannien sich trotz McCarthy und
dem New Deal bis heute ein Verständnis von dem Verhältnis zwischen
Bürger und Staat behalten haben, dass sich der totalen Gesellschaft
widersetzt.
Wenn also antideutsche Kommunisten auf der Verteidigung der Zivilisation
beharren, dann sind sie sich darüber bewusst, dass dies eine Verteidigung
liberal-kapitalistischer Staatlichkeit ist, die nämlich, trotz ihrer
spätkapitalistischen Verfallenheit, noch die Bedingung der Möglichkeit
von Emanzipation in sich trägt, welche in der Individualität
des bürgerlichen Subjektes liegt. Dieses ist zwar durch das notwendig
falsche Bewusstsein der Wertform des Denkens beschränkt und seine
Individualität besteht in der eigenen Zurichtung für die Verwertung,
als Anpreisung von Besonderheiten inmitten von Gleichen. Aber zumindest
die Tatsache, dass der Einzelne noch als Subjekt behandelt wird und sich
selbst als solches betrachtet und nicht als Bestandteil der Volksgemeinschaft
agiert, also als Bestandteil jenes eingangs erwähnten barbarischen
Kollektivs, welches in Deutschland durch den Nationalsozialismus fast
durchgehend hergestellt ist, ausgerechnet jenes bürgerliche Subjekt
beinhaltet die Bedingung der Möglichkeit von Emanzipation. Denn hier
besteht eine Diskrepanz, oder: früher hätte man gesagt ein Antagonismus,
zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Schein und Sein. Während
im bürgerlichen Subjekt noch der Anspruch auf Autonomie, Individualität
und Vernunft besteht, die freilich durch die bürgerliche Gesellschaft
nicht eingelöst werden kann, ist der Volksgenosse anspruchslos, solange
er im Kollektiv aufgenommen wird. Daraus folgt seine bereitwillige Unterordnung
unter die Interessen des Allgemeinen, also des Staates, denn so wie das
Kapital sich gleichgültig gegenüber der Unterschiedlichkeit
der Einzelnen verhält, z.B. in Bezug auf das Geschlecht, so verhält
sich der Volksgenosse gleichgültig gegenüber dem Inhalt seines
Auftrages. Er ist bereits Befehlsempfänger und nicht mehr ein wie
auch immer verblendetes Subjekt. Das erklärt, wie Adorno und andere
Mitglieder des Instituts für Sozialforschung zu der Einsicht kommen
konnten, die deutsche Gesellschaft sei vor dem Nationalsozialismus nicht
stärker antisemitisch als andere europäische Gesellschaften
gewesen.
IV.
Die Antiglobalisierungsbewegung nun, womit wir last but not least beim
eigentlichen Thema des Abends angekommen wären, ist ein Ausdruck
der Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, jene Regression, die augenblicklich
angesichts der Krise weltweit auf dem Vormarsch ist. Das von Existenzangst
gebeutelte Subjekt rührt nicht an die gesellschaftlichen Voraussetzungen
unter denen Menschen überflüssig werden können, sondern
versucht die Ablösung der Naturverfallenheit durch die Totalität
des Werts rückgängig zu machen und strebt so einen Zustand an,
indem die Menschen wieder unmittelbar mit Natur identisch werden. Dies
wäre die Rückkehr des Menschen ins Tierreich, der die Überflüssigkeit
des Denkens immanent ist. Nun ist diese Rückkehr nur auf dem einen
Weg möglich, den bereits Heidegger zum Akt der Erlösung erhob:
Das Sein zum Tode. Weil die Menschen aus dem einen Grund eine Existenzberechtigung
im Kapitalismus haben, dass die Waren sich nicht selbst zu Markte tragen
können, wird das Entziehen des gesellschaftlichen Zwanges als Verschwinden
der Körperlichkeit durch das Verschmelzen mit der Natur gedacht.
Was Heidegger mit seiner Ontologie höchstselbst auf den Punkt brachte,
ist all seinen postmodernen Nachahmern in versteckter Weise immer noch
immanent und drückt sich in ihrem Begriff von Natur aus.
Bei Judith Butler beispielsweise, die ja bekanntlich eine Chefideologin
der queer theory und getreue Schülerin Foucaults ist, wird diese
Auflösung der Natur auf die Spitze getrieben. Benötigte Foucault
den Begriff des „Körpers“ noch, um ihn seiner allgegenwärtigen
„Macht“ gegenüber zu stellen, weil Macht ja nicht einzeln
existieren kann, sondern über etwas ausgeübt werden muss, „greift
Butler explizit den Versuch Derridas auf, die Substantialität des
Subjektes linguistisch auszulöschen“ (1): „Es gibt kein
Ich hinter dem Diskurs, kein Ich, das seinen Willen und sein Anliegen
durch den Diskurs durchsetzt.“ (2) Um endlich nicht mehr vom „Ich“
reden zu müssen, bedient sie sich Lacans so genannter Psychoanalyse,
die Freuds Triebgeschichte ganz warenförmig in eine Signifikantenkette
übersetzt und damit zugleich „Es“ und „Ich“
tilgt, womit lediglich das Über-Ich bestehen bleibt, also die äußere
völlig substanzlose Hülle der Warenmonade, die beliebig gefüllt
werden kann. Wo alles „Gesellschaft“ ist, sprich: Diskurs,
da ist aber zugleich auch schon wieder überall Natur, denn die Gesellschaft
ist dann nur noch ein anderer Ausdruck für „Natur“. Gesellschaft
erhält die gleiche Omnipotenz wie einst Natur, und der Staat, objektiver
Vermittler zwischen den einzelnen Subjekten und somit Inbegriff von Gesellschaft
im Kapitalismus, erscheint als total. Außer ihm ist nichts mehr
vorhanden, keine Naturschranken, keine Individuen, keine Geschichte. Der
Vorschein dieser allgemein-menschlichen Regression, in der sich die Unterordnung
unter das irrationale Ganze als Privatisierung staatlicher Gewalt darstellt,
ist das Racket, die Bandengesellschaft, die ja nicht zufällig Foucault
auch in der iranischen Revolution bewunderte, als die einzelnen Körper
sich tatsächlich im Märtyrertod auflösten und sich auf
diese Weise der diffusen, omnipotenten, apersonalen „Macht“
entgegenstellen.
Solcherart regressive Gemeinschaft ist den Globalisierungsgegnern insgeheim
Vorbild, sie heißen bloß anders: Auf Indymedia nennt man sie
Landkommunen, Kollektive oder Befreiungsbewegung. Was die Globalisierungsgegner
an jenen so genannten „alternativen Lebensformen“ bewundern,
ist ihre natürlich-konkrete Lebensweise, die Verbundenheit zwischen
Volk und Boden, die auch die Vertriebenenverbände immerzu betonen.
Dieser Lebensweise unterstellen sie, völlig vom fetischistischen
Charakter der Wertform benebelt, eine ausbeutungsfreie Wirtschaftsweise
und Gesellschaftsform. Eine sozusagen ursprüngliche Arbeit, die Konsequenz
der Ontologie des Kapitals ist, welche das notwendig falsche Bewusstsein
in sich birgt. Und tatsächlich: Die Zapatisten auf den Feldern in
Chiapas organisieren die Arbeit selbst, es gibt keine Chefs und nicht
mal einen Profit, es gibt keinen Lohn und das Geld spielt eine nur noch
marginale Rolle. Die antiglobalistische Lebensform scheint von allen Abstraktionen
der kapitalistischen Warenproduktion befreit; dennoch: Die kollektive
selbst bestimmte Arbeit, ist in Wahrheit nicht selbst bestimmt, sondern
selbstverständlich von den natürlichen Bedürfnissen des
menschlichen Überlebens viel unmittelbarer abhängig. Das elende
Dahinvegetieren wird selbst verwaltet, die Subsistenzwirtschaft hat ein
paar Überflüssige vom Markt abgetrennt, was das Kapital nicht
im Geringsten stört. So ist die Subsistenzwirtschaft nichts als Elendsverwaltung.
Der zivilisatorische Mehrwert, den das Entstehen des Kapitalismus mit
sich brachte, ist für die sich-selbst-verwaltenden Elendsverwalter
außer Reichweite gebracht. Eben jener zivilisatorische Mehrwert,
der es den Menschen erlaubte, mehr als jagen, fressen und sich fortpflanzen
zu können, der sie zu Kunst, Kultur und Genuss befähigte.
Was die Globalisierungsgegner nicht verstehen können: Selbstverständlich
bleibt immer mehr Menschen keine andere Alternative als entweder 1. den
Kommunismus herbeizuführen, den sie alleine nicht herbeiführen
können und es offensichtlich auch nicht wollen, oder 2. zu verhungern
oder 3. eine Subsistenzwirtschaft aufzubauen. Dass dieses Dilemma keine
Perspektive für Befreiung ist, sondern der Abschiedsgruß der
schlicht und einfach - ich betone es noch einmal - nicht mehr Benötigten,
macht die ganze Tragweite der Antiglobalisierungsideologie aus. Was verschiedene
antideutsche Gruppen in einem Konferenzaufruf Mitte des Jahres schrieben,
bringt diesen Zusammenhang gut zur Sprache: „Es ist daher Aufgabe
aller Kritiker, Antikapitalisten zu denunzieren, die das, was die Welt,
so wie sie ist, ohnehin bewusst- und willenlos produziert, auch noch bewusst
und planmäßig vollstrecken wollen und damit das Schlimmere
im Vergleich zum Bestehenden repräsentieren.“ Wenn Menschen
aus purer Not Subsistenzwirtschaft betreiben, zumeist auf aller niedrigstem
Niveau, was sich auch schon mal im Mülltonnekramen äußern
kann, dann verdeutlicht das erschreckend, wie wenig ein Menschenleben
im Kapitalismus zählt. Wenn aber Menschen, die nicht so leben müssten,
weil sie aus irgendeinem Grunde privilegiert sind, sich in vegane Bauernwohngemeinschaften
zurückziehen und sich ihre Kartoffeln selber neben dem Misthaufen
anpflanzen und vollends in ihrer alternativen Großfamilie aufgehen,
dann ist das jene Regression, die zwar direkt aus dem Wertfetisch und
den unverstandenen gesellschaftlichen Zusammenhängen entsteht, aber
sich schon wieder darüber hinaus bewegt, indem sie eine Alternative
aufzeigt, die die Menschen noch tiefer ins Elend katapultiert und die
Entladung der notwendig angestaute Aggression vorbereitet. Beispiel: José
Bové, der diese Entladung in seinen Anti-McDonald´s-Aktionen
zu einem gewalttätigen Ausdruck bringt. Kein Wunder übrigens,
dass José Bové nicht nur ein Star in der Antiglobalisierungsbewegung
ist, sondern darüber hinaus ein großer Antisemit und völkischer
Ideologe vor dem Herrn. Andere wiederum, wie Michael Moore, wollen sich
selbst ein solches Leben doch nicht antun, aber sie predigen es als Ideal
und entwerfen damit ein politisches Programm für zukünftige
Elendsverwaltung, das nur darauf wartet, in die Tat umgesetzt zu werden.
V.
Meine These ist, und das steht im Widerspruch zur herkömmlichen linken
Kritik an der Antiglobalisierungsbewegung, wie sie z.B. auf dem SPOG-Kongress
geäußert wurde, dass der linke Antikapitalismus sehr wohl ein
Kampf gegen den Kapitalismus ist und nicht bloß verkürzt oder
die falschen Symbole treffend. Nur ist dieser Antikapitalismus das Gegenteil
von emanzipatorischer Umwälzung auf dem höchsten Niveau bürgerlicher,
also westlicher, Gesellschaft. Der linke Antikapitalismus will die Kernstruktur
kapitalistischer Warenproduktion eliminieren, nach der die einzelnen Subjekte
über das Geld miteinander vermittelt sind, nicht um statt dessen
ein Leben sich frei assoziierender Individuen zu setzen, sondern um die
Möglichkeit, Freiheit auch nur denken zu können, für immer
aus der Welt zu schaffen. Aus der Vermittlung der vereinzelten bürgerlichen
Subjekte über das Geld ergibt sich, dass alle Produzenten voneinander
abhängig sind, weil sie im Tausch immer aufeinander zurückgeworfen
werden, zugleich aber haben sie alle unterschiedliche Privatinteressen.
Eine solche Form der Vermittlung hassen die Globalisierungsgegner nicht
weil sie irrational wäre, sondern weil sie schon längst keine
Gesellschaft von Individuen mehr denken geschweige denn verwirklichen
wollen, sondern lediglich - da wären wir wieder - ein barbarisches
Kollektiv, dass nicht über Einzelinteressen hergestellt werden kann,
sondern nur über Projektion. Während also im liberalen Kapitalismus
das Verfolgen von Einzelinteressen tatsächlich mit dem Interesse
der Allgemeinheit der Wertverwertung des Werts identisch ist, einem irrationalen
Selbstzweck mit allerhand brutalen Auswirkungen, verfolgen die Globalisierungsgegner
das gegenüber dem Kapitalismus noch Schlimmere: Der Verzicht auf
Eigeninteressen, die totale Unterordnung unter die zweite Natur, die ihnen
zur ersten geworden ist, die Auflösung der Zivilisation zugunsten
der Barbarei.
(1) Uli Krug / Tjark Kunstreich: Dekonstruktion heißt Domestizierung.
Judith Butlers Staatsbürgerkunde für die queer nation, in: Bahamas
26/98, S. 38
(2) Judith Butler: Queer Identities, in: Shane Phelan: Playing with Fire,
London/New York 1997, S.12, zitiert nach: Uli Krug / Tjark Kunstreich:
ebenda
11.Dezember 2003
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