Vortrag und Diskussion mit Philipp Lenhard

Mittwoch, 13. März 2019, 19 Uhr

Köln, Alte Mensa, Universitätsstr. 16b (Eingang Wilhelm-Waldeyer-Str.), Raum S204

Eine Veranstaltung der Georg-Weerth-Gesellschaft Köln

„Go West!“, sangen die Pet Shop Boys 1993 und brachten damit die ungeheure Anziehungskraft des kapitalistischen Westens nach dem Untergang des real existierenden Sozialismus zum Ausdruck. Was damals wie eine Siegeshymne klang, erscheint aus heutiger Sicht nur noch als popkultureller Kitsch. Mit dem Zerfall seines einst größten Gegners hat auch der Westen seinen Glanz weithin eingebüßt. Die Verbindung von individueller Freiheit und unbegrenzten Konsummöglichkeiten, die die Massen in Ostberlin einst ebenso begeisterte wie die in Budapest, Moskau oder Beirut, ist im Westen selbst nicht mehr wohlgelitten. Statt Massenkonsum gibt es Konsumkritik, statt individueller Freiheit und der Emanzipation von der Herkunft Gruppenrechte, Kulturen, Regionalismus. Auch das Selbstbewusstsein des Westens ist verschwunden, von einem Kampf der Werte ist nichts mehr zu sehen. In der ideologischen Auseinandersetzung mit der islamischen Welt, Russland oder China wirkt es oft, als habe sich der Westen selbst aufgegeben. Der Rückzug der Vereinigten Staaten, der einst unbestrittenen Führungsmacht des Westens, aus der Weltpolitik gehört zu den Symptomen dieser Entwicklung. Inzwischen scheint nicht mal mehr klar zu sein, wer überhaupt zum Westen gehört und warum. Vor diesem Hintergrund fragt Philipp Lenhard, wer oder was der Westen einmal war, was seine Existenzbedingungen waren und wodurch er zusammengehalten wurde. Vor allem aber wird eine Antwort auf die Frage gegeben, warum er heute zu zerfallen droht.

Philipp Lenhard lebt in München, ist Historiker und Redakteur der Zeitschrift Prodomo; er ist Herausgeber der im Freiburger ca ira Verlag erscheinenden Gesammelten Schriften Friedrich Pollocks.

Vortrag und Diskussion mit Niklaas Machunsky

Mittwoch, 20. Februar 2019, 19 Uhr

Köln, Alte Mensa, Universitätsstr. 16b (Eingang Wilhelm-Waldeyer-Str.), Raum S204

Da sich die Gesellschaft zunehmend polarisiert, wittern die Sachwalter der sozialen Frage ihre Chance. Weite Teile der Gesellschaft sind in prekarisierte Arbeitsverhältnisse abgerutscht und das obwohl die Wirtschaft über Jahre boomte. Dass etwas getan werden muss, darüber herrscht rechts und links Einigkeit. Erstaunlicher aber noch, man ist sich auch bezüglich der Stoßrichtung einig: Zurück zum souveränen Nationalstaat!

Das deutsche Wirtschaftswunder der Vergangenheit stellt sich im Rückblick als rotbäckig, ruhig und hoffnungsfroh dar. Die Zeit des Wunders war eine der Restauration. Sie war geprägt von dem Versuch, die Entfesselung des Nationalsozialismus durch feste Formen wieder einzufangen. Gerade wegen der erfolgreichen Restauration ließ sie sich als eine klar umrissene Gesellschaftsordnung, als eine „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ (Schelsky) oder als „verwaltete Welt“ (Adorno) beschreiben. Es handelte sich um eine Gesellschaft, in der die materiellen Unterschiede schrumpften und die Arbeiterklasse durch Teilhabe am Massenkonsum integriert war. Um eine Gesellschaft also, die geschützt hinter den festen Grenzen des Nationalstaates lebte und deren Mitglieder nach der Arbeit auf der Couch lagen, Derrick schauten, im Neckermann-Katalog blätterten und vom nächsten Campingurlaub träumten. Dieses „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegszeit wird heute nur noch selten als Folge des Sieges über Nazi-Deutschland, geschweige denn seiner Vernichtungspolitik erklärt, sondern von Krieg und Barbarei losgelöst betrachtet. Doch es waren gerade die im Krieg entfesselten Produktivkräfte sowie die Vernichtung von Gebrauchswerten und Menschen, die in der Nachkriegszeit die Teilhabe der Massen am Konsum ermöglichten und eben diese Produktivkräfte waren es auch, die die vermeintlich festen Formen wieder verflüssigten.

Weil die Dynamik der in den späten 70er Jahren einsetzenden Globalisierung immer nur noch prekärere Verhältnisse zu schaffen droht und sie zunehmend auch die Mittelschicht ergreift, will ihr rechter und ihr linker Flügel zurück zum Idyll hinter dem Grenzzaun von einst. Dort hoffen die einen das Ethos der Volksgemeinschaft und die anderen Massenkonsum und Vollbeschäftigung zu finden und beide gemeinsam fürchten die Billigkonkurrenz aus dem Ausland. Das Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, sehen beide Fraktionen im Proletariat und deshalb beschwören sie dessen Wiederkehr. Es soll ihnen als Schwungmasse dienen, das Establishment zu verdrängen. Das grün-liberale Establishment, die Mitte, sieht ebenfalls das Potential für eine Revolte wachsen, aber wo die anderen das Proletariat beschwören, erkennen sie nur white trash. Aus demokratischem Respekt sprechen sie es aber als Proletariat an und versprechen ihm neue Formen der Repräsentation. Das Proletariat heute ist deshalb vor allem ein Schreckgespenst, mit dem sich die einzelnen Fraktionen der Mittelschicht gegenseitig bange machen.

Dieser Kampf um und mit dem Proletariat wird im Vortrag dargestellt und die gesellschaftliche Dynamik, deren Ausdruck dieser Kampf ist, beleuchtet. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die Entwicklung des Gebrauchswerts gelegt, denn dessen Zerstörung sollte in eins zu gleich das Ende der Geschichte bedeuten. Doch weder kehrt das Proletariat zurück, noch befinden wir uns am Ende der Geschichte!

Niklaas Machunsky lebt in Köln, ist Sozialwissenschaftler und Redakteur der Zeitschrift Prodomo.