Vortrag und Diskussion mit Philip Zahner (Wien), der bei der Initiative Sozialistisches Forum (ISF) Wien assoziiert ist.

Freitag, 27.03.2020 von 19 bis 22 Uhr

Raum S24 im Seminargebäude der Universität Köln

Eine Veranstaltung der Georg-Weerth-Gesellschaft Köln

Selbst dort, wo, wie bei der Protestbewegung von 1968 und ihren späteren Zerfallsprodukten, hin und wieder das Stündchen der Selbstkritik schlug, destruierte die Linke ihre Illusionen in Sachen Klasse und Staat nie endgültig mit den Mitteln, die die Kritische Theorie und die Kritik der politischen Ökonomie dafür geboten hätten, sondern legte sie ab, wie um sie für den zukünftigen Gebrauch zu konservieren.

Und so folgt auf jeden Abschied auch ein Wiedersehen: Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis die Linke, nachdem sie infolge des famosen „Abschieds vom Proletariat“ (André Gorz) durch die Neue Linke Anfang der 80er Jahre endgültig gesellschaftsfähig geworden war und zunächst vom Marxismus auf Parlamentarismus, Lebensreform und Ökopazifismus und später auf Identitätspolitik und Postmodernismus umgesattelt hatte, durch die neuerliche Dringlichkeit der ‚sozialen Frage‘ auch die mittlerweile gut abgehangenen Fetische der alten Linken wiederentdecken würde.

Die erhöhte Frequenz, mit der Intellektuelle im Namen des „Ottonormalarbeiters“ seit geraumer Zeit wieder strategische Manöver entwerfen und Organisationsdebatten führen, die vom
Bedürfnis bestimmt sind, an Glanz und Gloria vergangener Zeiten anzuknüpfen, um der postmodernen Identitätspolitik wieder eine ‚echte (klassen-)politische Perspektive‘ entgegenzusetzen,
nähren den begründeten Verdacht, dass es mit der Aufhebung des Marxismus zum Materialismus infolge rücksichtsloser Selbstkritik entgegen anderslautender Behauptungen auch dieses Mal nichts werden wird, gleicht die Beschwörung des Marxismus der alten Linken doch bereits im Ansatz dem Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.

Wie um unter Beweis zu stellen, dass es für die Linke keine Kritik geben darf, die nicht im Kern auf nationalen Opportunismus und eine höhere Form des Einverständnisses hinauslaufen würde, müssen neuerdings ausgerechnet Adorno und die Kritische Theorie dafür herhalten, diesen nostalgischen Retraditionalisierungsbestrebungen den Anschein kritischer Läuterung zu verschaffen. Und in gewisser Hinsicht kehrt dabei tatsächlich jene Janusköpfigkeit des Marxismus des vergangenen Jahrhunderts zurück: Wo die einen den linken Evergreen von der kritischen Sozialdemokratie anstimmen und abgeklärt, aber umso realitätstüchtiger versuchen, die Kritische Theorie der sozialdemokratischen Logik des kleineren Übels kommensurabel zu machen, um den Sozialstaat gegen den ‚Neoliberalismus‘ zu verteidigen, da träumen die anderen gleich von Partei und Avantgarde und spinnen sich einen ‚Adorno-Leninismus’ zusammen.

Der Vortrag möchte darlegen, weshalb es sich bei den interessierten Versuchen, Klasse, Politik und Organisation wiederzubeleben, um den Postmodernen ein Schnippchen zu schlagen, nur um eine Farce handeln kann, die, indem sie die Kritische Theorie ihrem politischen Bedürfnis assimilieren möchte, geistige Erfahrung noch dort zu zerstören trachtet, wo sie sich ihrer Möglichkeit nach einstellen könnte. Wenn für den Marxismus dabei eines geradezu konstitutiv ist, dann ist es das völlige Versagen in Sachen Staatskritik. Erinnert werden soll darum an die basale Erkenntnis, dass die Verstrickung des Marxismus in den katastrophalen Gang der Geschichte kein Zufall war und dass die Erfahrung der Shoa und des Nazifaschismus Handeln und Denken bis ins Innerste verändern muss.